Die Unbekannten: Roman (German Edition)
Zimmer die Lichter ausschaltete, würde von draußen jeder wissen, wo er schlief.
Nach längerer Überlegung schaltete er die Neonröhren in der Küche aus. Im Dunkeln sah er einen hellen Streifen am unteren Ende der Kellertür, der entweder bedeutete, dass sein Peiniger dort unten war oder dass er eben das glauben sollte.
Er ließ die Lichter im Flur brennen, schaltete sie aber im Arbeitszimmer aus, wo Nora ihm das Bettsofa hatte herrichten wollen.
Im Wohnzimmer schaltete er eine Lampe aus, ließ aber eine andere in der Nähe eines Fensters brennen.
Er würde im Schlafzimmer schlafen, aber nicht da, wo man damit rechnen würde, ihn zu finden. Die Situation erforderte Vorsichtsmaßnahmen und Täuschungsmanöver.
Er lehnte die Schrotflinte an den Sessel im Schlafzimmer. Die Taschenlampe und das Päckchen Batterien legte er auf einen Fußschemel.
In dem Schrank mit der durchlöcherten Tür zog Henry von einem hohen Einlegebrett zwei Reservekissen und zwei Ersatzdecken. Mit diesen würde er die Illusion eines Schläfers unter den Zudecken erzeugen.
Als er auf das Bett zuging, sah er die Handschuhe.
Kissen und Decken fielen ihm aus den Armen.
Auf der Tagesdecke aus Chenille lagen die ledernen Arbeitshandschuhe, die Jim beim Holzhacken getragen hatte. Sie waren vorher nicht dort gewesen. Sie waren mit Blut getränkt. Das Blut war in den Überwurf gesickert.
24
Im unablässig pulsierenden Schatten des lichttrunkenen Nachtfalters in ihrer Küche schloss Cammy Rivers Protozoeninfektionen als mögliche Ursache für das Verhalten der Tiere auf der High Meadows Farm aus.
Jetzt schien nur noch die Möglichkeit zu bleiben, dass jemand den Vollblütern und ihren Lieblingen eine toxische Substanz verabreicht hatte. Versehentlich oder absichtlich verseuchte Nahrung war die nächstliegende Methode.
Die verschiedenen Arten – Pferde, Ziegen, Hunde – bekamen nicht dasselbe Futter vorgesetzt. Sogar einige der Pferde konnten anderes Futter bekommen haben als die übrigen. Demzufolge musste die Vergiftung eindeutig absichtlich vorgenommen worden sein.Diese Erklärung erschien ihr melodramatisch und keineswegs plausibel. Aber alle anderen Möglichkeiten hatte sie geprüft.
Obwohl sie in ihrem Forschungsansatz altmodisch war und den Quellen im Internet, die in der Mehrzahl der Fälle Fehlinformationen enthielten, Bücher vorzog, war jetzt der Zeitpunkt gekommen, um nach unten an den Computer zu gehen. Die enorme Anzahl von Medikamenten mit ihren langen Listen von Nebenwirkungen und die noch größere Anzahl an natürlichen und von Menschen hergestellten Toxinen konnte nur durch den Einsatz von sorgfältig zusammengestellten Suchketten erwogen und ausgeschlossen werden.
Als sie ihren Stuhl vom Tisch zurückschob und aufstand, läutete das Telefon an der Wand. Sie nahm ab. »Cammy Rivers.«
»He, Doc«, sagte Grady Adams. »Ich hoffe, ich habe dich nicht geweckt.«
»Es ist noch nicht mal halb elf, Grady.«
»Na ja, ich weiß ja, dass du früh aufstehst. Hör mal, könntest du vielleicht herkommen?«
»Wie – jetzt?«
»Genau das hatte ich gehofft.«
»Erzähl mir nicht, dass Merlin etwas fehlt.«
Sie hatte Grady den Wolfshund vor knapp drei Jahren als Welpen gegeben.
»Nein, nein, der ist so fit, dass du ihn satteln und reiten könntest. Es geht um diese andere Sache.«
»Was für eine Sache?«
»Diese Sache – ich möchte, dass du sie dir ansiehst. Die beiden Dinger. Bring deine Tasche mit und was du sonst noch brauchst. Es könnte nämlich sein, dass du sie untersuchen möchtest.«
»Haben sie einen Namen?«
»Das ist es ja gerade – ich glaube nicht, dass sie einen Namen haben. So was wie die habe ich noch nie gesehen. Im Moment jagen sie Merlin durchs Zimmer und er ist hellauf begeistert.«
»Ich muss dich erst noch was fragen, Schreiner – hast du vielleicht zu viele Schelllackdämpfe eingeatmet?«
»Kann schon sein. Vielleicht habe ich das Zeug ja getrunken. «
25
Nachdem er die blutgetränkten Handschuhe gefunden hatte, durchsuchte Henry Rouvroy mit vorgehaltener Schrotflinte das Haus, fand niemanden und durchsuchte es gleich noch einmal mit demselben Ergebnis.
Der Stuhl klemmte immer noch unter dem Knopf der Kellertür. Die Haustür war weiterhin abgeschlossen, und das galt auch für die Hintertür zwischen der Küche und der Veranda hinter dem Haus.
Die Erklärung lag auf der Hand. Der Feind besaß einen Schlüssel. Zweifellos hatte er ihn entweder Jims oder Noras Leiche abgenommen.
Während
Weitere Kostenlose Bücher