Die Unbekannten: Roman (German Edition)
prasselte, als würde mit vollen Händen Reis darauf geworfen.
Im Osten lagen Hügel, die sichtbar waren, weil sie sich als Silhouetten gegen den sternengesprenkelten Himmel absetzten und weil sie infolge eines trockenen Sommers von bleichem, ausgedörrtem Gras überzogen waren. Weit auseinanderstehende immergrüne Eichen auf vereinzelten Erhebungen nahmen sich vor dem Hintergrund der farblosen Wiesen wie Halloween-Gestalten aus.
In keiner Himmelsrichtung wies die einsame Landschaft Anzeichen von Besiedelung auf.
Er wusste, wohin er gehen und was er tun musste. Doch der Weg in die Stadt war weit, und das, was getan werden musste, war hart.
Lange nach Mitternacht herrschte kaum Verkehr auf der Schnellstraße. Um diese Zeit regierten die Fernfahrer über die Straßen, und die nahmen die Interstate weiter im Inland.
Sogar in der Dunkelheit erhielt Tom Zeichen. Die
Scheinwerfer eines Wagens, der nach Süden fuhr, zeigten auf dem Straßenpflaster eine tote Klapperschlange, deren Augen wie Pailletten glitzerten, und er wusste, dass dieser Anblick nur für ihn bestimmt war.
Er kam an einem Schild vorbei, das vor Wildwechsel warnte und von Vandalen mit Schüssen durchlöchert worden war. Kurz danach zerstreuten seine trabenden Füße auf dem Seitenstreifen kleine Gegenstände, die mit einem metallischen Klirren aufeinandertrafen. Als er seine Taschenlampe einschaltete, schimmerten vielleicht zwanzig ausgeworfene Patronenhülsen zwischen der Erde und dem Kies.
Schlangen und Munition. Das Böse und die Gewalt.
Eine niedrige, glatte Gesteinsformation erhob sich wie eine Bank, die von der Natur für einen ermatteten Wanderer erschaffen worden war. Er blieb stehen und setzte seinen schweren Rucksack ab.
Er zog den Reißverschluss der Sturmklappe über dem unteren Fach auf und nahm einen Stoffbeutel heraus, der seine ungeladene Pistole enthielt. Den leeren Stoffbeutel packte er wieder in das untere Fach und zog den Reißverschluss der wasserdichten Klappe zu.
Anschließend schulterte er seinen Rucksack erneut, trug die Waffe in der linken Hand, an seiner Seite hängend, damit sie für Autofahrer, die an ihm vorüberfahren konnten, nicht zu sehen war, und setzte seinen Weg nach Norden fort.
Seit er die Stadt verlassen hatte, kam es ihm vor, als wäre er nicht allein. Mit jeder Meile verstärkte sich der Eindruck eines unsichtbaren Begleiters.
Von Zeit zu Zeit blieb er stehen und drehte sich langsam im Kreis, um sich in der Nacht umzusehen. Nie nahm er eine andere Bewegung wahr als das Schwanken des Grases und das Zittern des Laubs in der schwachen Brise, die vom Meer kam. Nie sah er einen schemenhaften Umriss oder Mondschein in einem Auge.
Er lief etwa eine halbe Meile, bevor er den Motor eines Fahrzeugs hörte, das nach Norden fuhr. Nach dem Geräusch zu urteilen, musste es ein Kleinlaster oder ein Geländefahrzeug sein, aber er sah sich nicht um.
Autofahrer, die dazu neigten, Anhalter mitzunehmen, wurden meist von seiner Größe und seinem Gesicht abgeschreckt. Er versuchte nur selten, den Daumen rauszuhalten, damit ihn jemand mitnahm. Daher lief er auch jetzt auf der Seite, auf der ihm der Verkehr entgegenkam, was ohnehin sicherer war.
Die Motorengeräusche wurden lauter, Scheinwerfer strichen über das Straßenpflaster und ein Chevy Suburban rauschte auf der anderen Fahrbahn vorbei. Bremslichter leuchteten auf.
Hundert Meter vor ihm kehrte das Fahrzeug nach Süden um und rollte etwa fünfzehn Meter von Tom entfernt neben der Schnellstraße aus. Türen öffneten sich.
Die Scheinwerfer blendeten ihn, doch er sah die Silhouetten von zwei Männern vor dem Suburban. Ein dritter stand dicht neben der Fahrertür.
Tom versuchte nicht, schleunigst von der Schnellstraße in die dunkle Landschaft zu laufen, denn selbst einfaches Gelände konnte für einen blinden Läufer heimtückisch sein.
Außerdem rannte er vor nichts davon, weder vor gewalttätigen Menschen, die auf der Suche nach einer Gelegenheit durch die Gegend fuhren, noch vor einem Tsunami. Wenn jemand oder etwas ihn umbrachte, würde er ja doch nur den Tod bekommen, den er wollte und bereitwillig angenommen hätte, wenn er den Mut zum Selbstmord aufgebracht hätte.
Er hielt den Kopf hoch erhoben und ging auf die Männer zu.
Als sie sein Gesicht genauer zu sehen bekamen, wobei die grausigen Einzelheiten durch die extremen Verhältnisse von Licht und Schatten zweifellos übertrieben deutlich hervortraten, sagte einer von ihnen: »Heiliger Strohsack, Jackie,
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