Die Unbekannten: Roman (German Edition)
ohnehin ein Platz in jedem von Eleanors Kleingruppenseminaren sicher gewesen, doch zudem war sie eingeladen worden, an drei Privatissima teilzunehmen, die sich als die intensivsten Lernerfahrungen ihres Lebens erwiesen hatten.
Als Eleanors Monat in Fort Collins zu Ende ging, hatte sie Cammy zu überzeugen versucht, nach ihrem Studienabschluss
in den Osten zu kommen, an die Tufts University. Eleanor hatte ihr einen Dreijahresvertrag als Mitarbeiterin an einem Forschungsprojekt zum Thema Krebs bei Hunden angeboten, dessen Leiterin sie war, ein Programm, für das von einem ehemaligen Studenten beträchtliche Mittel zur Verfügung gestellt wurden.
Diese Gelegenheit, ihren beruflichen Aufstieg zu fördern und ihren Beitrag zu einem Forschungsprojekt zu leisten, das zahllosen Hunden das Leben retten konnte, hatte Cammy durchaus gereizt. Trotzdem hatte sie das Angebot letzten Endes abgelehnt. Sie hatte so lange davon geträumt, Tieren nicht im Forschungslabor zu dienen, sondern ihnen bei ihren Alltagsleiden beizustehen; sie wünschte sich die Zufriedenheit, die es mit sich brachte, Tiere zu heilen, deren Namen sie kannte und denen sie in die Augen gesehen hatte.
Sie und Eleanor waren jedoch in Kontakt geblieben und hatten sich angefreundet, da beide ihre Arbeit nicht nur als Beruf betrachteten, sondern in erster Linie als Berufung. Falls es sich bei Puzzle und Riddle um extreme teratogenetische Individuen handelte, dann konnte Eleanors breitgefächerter und tiefreichender zoologischer Hintergrund sie dazu befähigen, durch die Mutationen quasi hindurchzuschauen und die zugrundeliegenden Charakteristika zu erkennen, die ihre Spezies bestimmten.
Bei Sidney Shinseki lagen die Dinge folgendermaßen: Nachdem sie ihr Diplom in Veterinärmedizin erhalten hatte, hatte Cammy ein Jahr lang als Hochschulabsolventin bei ihm praktiziert, um ihre chirurgischen Fähigkeiten weiterzuentwickeln. Er war ein reizender alter Brummbär
von einem Mann, der einen scharfen diagnostischen Verstand und die Gabe besaß, intuitive Schlussfolgerungen zu ziehen – von ein paar verblüffenden Fakten mit einem kühnen Sprung zu der Wahrheit zu gelangen, auf die sie hinwiesen.
Nachdem sie die E-Mails abgeschickt hatte, stöberte sie noch in den zoologischen Archiven einiger namhafter Institutionen herum, die leichten Zugang gewährten, und suchte dort nach Fotos von nachtaktiven Lebewesen mit ungewöhnlich großen Augen.
Das Aye-Aye oder Fingertier, das in den Regenwäldern von Madagaskar lebte, schien größere Augen zu haben, als es in Wirklichkeit der Fall war. Auf den Fotos waren sie von einem so leuchtenden Orange, dass die verblüffende Farbe zu einer Illusion von gewaltiger Größe beitrug. Mit seinen großen fledermausartigen Ohren und seiner spitzen Schnauze hätte das Aye-Aye in einer Sendung über die Schönheit von Säugetieren auf dem Tierkanal Animal Planet keine Chance gehabt.
Die Augen von Buschbabys waren entschieden größer als die eines Aye-Aye, vor allem im Verhältnis zu ihren kleinen Köpfen, aber im Vergleich zu Merlins neuen Spielgefährten waren auch Buschbabys in puncto Augengröße nicht erwähnenswert.
Der Loris oder Faulaffe, der in Süd- und Südostasien heimisch war, hatte im Verhältnis zu seinem Kopf große Augen, aber nicht im Vergleich zu den Augen von Puzzle und Riddle. Als Baumbewohner, der sich weitgehend von Eidechsen und Insekten ernährte, wog der größte Loris nur knapp zwei Kilo.
Nach der Aufregung der Nacht glaubte Cammy nicht, dass es ihr gelingen würde, zu schlafen, doch schon bald begann sie zu viele falsche Tasten zu drücken und so oft an der falschen Stelle die Maustaste zu klicken, dass sie sich ausloggte. Als sie um 1.50 Uhr ins Bett fiel, schien sich das Zimmer langsam zu drehen wie ein Karussell … ein Karussell, und all die wunderschönen Pferde blickten in dieselbe Richtung, zu den Bergen und in den dämmrigen Abendhimmel, und etwas Gewaltiges durchzog den Tag, etwas so Gigantisches, dass sie seine drohend aufragende Gegenwart fühlen konnte, und doch blieb es unsichtbar, oder wenn nicht unsichtbar, dann nur indirekt wahrnehmbar, nur aus dem Augenwinkel …
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Die kalifornische Nacht war kühl und trocken, ideales Wetter, um mit einem Rucksack zu wandern.
Westlich der Schnellstraße fiel das dunkle Land zum Meer ab, das Tom Bigger nur sehen konnte, weil der Mond eine Schleppe aus Satin über das Wasser zog und die Brandung weiße Gischt aufsprühen ließ, die auf den Kies des Strandes
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