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Die Unbekannten: Roman (German Edition)

Die Unbekannten: Roman (German Edition)

Titel: Die Unbekannten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean Koontz
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geöffnet waren, sich dann jedoch zu einem stummen Schrei ungeheuren Grauens verzogen.
    Als er aufwachte, glaubte Henry Rouvroy zu hören, dass jemand seinen Namen flüsterte.
    »Henry.«
    Im Schlaf war er auf die Seite gerutscht. Jetzt setzte er sich auf und lehnte sich wieder an die Rückwand des Schranks.
    Die Schrotflinte. Er hatte sie losgelassen. Er tastete im Dunkeln danach.
    Am ehesten war anzunehmen, dass er die Stimme geträumt hatte. Er lauschte, hörte aber nichts.
    Vor der offenen Tür war das Schlafzimmer heller als zu dem Zeitpunkt, als er seinen Posten im Schrank bezogen hatte, aber doch nicht so hell, wie es gewesen wäre, wenn eine Lampe eingeschaltet worden wäre.
    Die Dämmerung war angebrochen. Der Morgen sickerte um die Ränder der zugezogenen Vorhänge herum.
    Henry zuckte zusammen und streckte seinen linken
Fuß, um einen Krampf abzuwehren. Er erhob sich und bewegte sich vorsichtig zur Schranktür.
    Wieder zögerte er. Nach einer kurzen Stille hörte er ein kaum wahrnehmbares Pfeifen – und sein Herz verkrampfte sich einen Moment lang, bis er merkte, dass es das Geräusch seiner eigenen Blähungen war.
    Wurst, Käse und plebejisches Brot zum Abendessen, das war ein Fehler gewesen, ein Schock für seinen Organismus.
    Er war noch keinen ganzen Tag auf der Farm, und schon jetzt waren seine Maßstäbe heruntergeschraubt und seine Haltung ließ zu wünschen übrig. Die gefährlichen Auswirkungen einer bäuerlichen Lebensweise auf die Persönlichkeit und den Intellekt eines Menschen konnte man gar nicht überschätzen, selbst dann nicht, wenn er in den vornehmsten Privatschulen erzogen worden war und in Harvard seinen letzten Schliff erhalten hatte. Ohne die tägliche Stimulation des Großstadtlebens, ohne die kontinuierliche Interaktion mit anderen gebildeten und vornehmen Menschen, die den Geist schärfte, konnte er bäurisch, derb und ungehobelt werden. In den Käffern und Kuhdörfern dieser rückständigen Region wurde die Times wahrscheinlich gar nicht vertrieben, und am Zeitschriftenkiosk würde ihn sicher ein Analphabet bedienen, ein Inzuchtbalg, das Vanity Fair zweifellos in braunes Packpapier einschlug.
    Während Henry den oszillierenden Schwingungen seines eigenen Arschpfeifens lauschte, bis es in einem leiseren Piepston endete, wurde ihm klar, dass er, wenn er sich im Kartoffelkeller und in den umgebauten Pferdeboxen Frauen hielt, wenigstens eine brauchte, die fortgegangen
war, die richtigen Schulen besucht hatte und aus irgendwelchen törichten Gründen in dieses intellektuelle Ödland zurückgekehrt war. Wenn er keine finden konnte, die geistreich und sexy war, dann könnte es durchaus ein weiser Entschluss sein, eine unscheinbare Frau mit kultiviertem Geschmack einzusperren, die eine gute Gesprächspartnerin war und ausschließlich dem Zweck diente, seinen Intellekt zu schärfen und den Feinschliff seiner lupenreinen Ästhetik zu erhalten.
    Die bedauerlichen Folgen seines rektalen Rezitativs hinderten Henry daran, im Schrank zu bleiben. Da er dringend frische Luft brauchte, beschloss er, dass es sich bei dem Flüsterer seines Namens um eine Gestalt in seinem Traum gehandelt haben musste, und so trat er ins Schlafzimmer hinaus.
    Als er die Deckenlampe einschaltete, richtete er seinen Blick sofort auf das Bett. Die Zudecke schien noch genauso drapiert zu sein, wie er sie zurückgelassen hatte, und die Imitation eines Schläfers lag noch so da, wie er sie arrangiert hatte.
    Wenn jemand den Platz der Attrappe eingenommen hätte, wäre Henry im Schlaf ermordet worden. Seine Furcht war irrational gewesen.
    Dennoch umrundete er das Fußende des Bettes und blieb über dem zugedeckten Umriss stehen. Er hielt die Schrotflinte in beiden Händen, mit einem Finger am Abzug, und benutzte den Lauf, um die Decke anzuheben und sie über dem zurückzuschlagen, was sich darunter verbarg.
    Als seine absurden Befürchtungen von ihm abfielen, stieß er einen tiefen Seufzer der Erleichterung aus.
    Er zog die Vorhänge an den Fenstern auf und ließ das Licht des frühen Morgens ins Zimmer. Er würde nicht länger in Schränken kauern. Mit dem Anbruch des neuen Tages würde er auch eine neue Strategie verfolgen. Statt zu reagieren, würde er agieren und von sich aus den Kampf gegen seinen Peiniger aufnehmen.
    Das Flurlicht, das brennen sollte, war an, ebenso eine Lampe im Wohnzimmer. In der Küche war es allerdings nicht dunkel, obwohl er sie in Dunkelheit zurückgelassen hatte.
    Auf dem Esstisch lagen die

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