Die unendliche Geschichte
endlich sagen ? Wirst du ? Ich komm noch um vor Wißbegier, und niemand, niemand will mir helfen. Bitte, versprich mir, daß du mir’s sagen wirst!«
Atréju stand auf und blickte zu dem Großen Rätsel Tor hinüber, das im hellen Mondschein lag.
»Ich kann es dir nicht versprechen, Engywuck«, sagte er leise, »obgleich ich dir gern meine Dankbarkeit beweisen würde. Aber wenn niemand je darüber gesprochen hat, wer oder was die Uyulála ist, so muß es einen Grund dafür geben. Und ehe ich den nicht kenne, kann ich nicht darüber entscheiden, ob einer es wissen darf, der nicht selbst vor ihr gestanden hat.«
»Dann mach, daß du wegkommst!« schrie der Gnom ihn an, und seine Äuglein sprühten förmlich Funken. »Nichts als Undank erntet man! Da bemüht man sich ein Leben lang, ein Geheimnis von allgemeinem Interesse zu erforschen. Aber Hilfe bekommt man nicht. Ich hätte mich überhaupt nicht um dich kümmern sollen!«
Damit rannte er in die kleine Höhle hinein, in deren Innerem das heftige Zuschlagen eines Türchens zu hören war.
Die Urgl kam an Atréju vorbei, kicherte und sagte: »Er meint’s nicht so, der alte Schrumpfkopf. Ist nur wieder mal schrecklich enttäuscht wegen seiner lächerlichen Forschungen. Möchte eben zu gern der sein, der das große Rätsel gelöst hat. Der berühmte Gnom Engywuck. Nimm’s ihm nicht übel!«
»Nein«, sagte Atréju, »sage ihm bitte, daß ich ihm von ganzem Herzen danke für alles, was er für mich getan hat. Und auch dir danke ich. Wenn es mir erlaubt ist, werde ich ihm das Geheimnis sagen - falls ich zurückkomme.«
»Willst du uns denn verlassen?« fragte die alte Urgl.
»Ich muß«, antwortete Atréju, »ich darf keine Zeit verlieren. Ich werde jetzt ins Orakel gehen. Leb wohl! Und hüte mir inzwischen Fuchur, den Glücksdrachen!«
Damit wandte er sich ab und ging fort, auf das Große Rätsel Tor zu.
Die Urgl sah seine aufrechte Gestalt mit dem wehenden Mantel zwischen den Felsen verschwinden. Sie lief ihm nach und rief:
»Viel Glück, Atréju!«
Aber sie wußte nicht, ob er es noch gehört hatte. Während sie in ihre kleine Höhle zurückwatschelte, brummte sie vor sich hin: »Er wird es nötig haben - wahrhaftig, wird viel Glück nötig haben.«
Atréju hatte sich dem Felsentor bis auf etwa fünfzig Schritte genähert. Es war viel riesenhafter, als er es sich aus der Entfernung vorgestellt hatte. Dahinter lag die vollkommen öde Ebene, die dem Auge keinen einzigen Anhaltspunkt bot, so daß der Blick wie ins Leere stürzte. Vor dem Tor und zwischen den beiden Pfeilern sah Atréju nun unzählige Totenschädel und Gerippe liegen - die Knochenreste der verschiedenartigsten Bewohner Phantasiens, die versucht hatten, das Tor zu durchschreiten und durch den Blick der Sphinxen für immer erstarrt waren.
Aber nicht das war es, was Atréju dazu veranlaß te, stehenzubleiben. Was ihn innehalten ließ, das war der Anblick der Sphinxen.
Atréju hatte manches erfahren auf seiner Großen Suche, er hatte Herrliches und Entsetzliches gesehen, aber was er bis zu dieser Stunde noch nicht gewußt hatte, war, daß es beides in einem gibt, daß Schönheit schrecklich sein kann.
Das Mondlicht überflutete die beiden gewaltigen Wesen, und während er langsam auf sie zuging, schienen sie ins Unendliche zu wachsen. Ihm war, als ob sie mit den Häuptern bis zum Mond emporreichten, und der Ausdruck, mit welchem sie einander anblickten, schien sich mit jedem Schritt, den er näher kam, zu wandeln. Durch die hochaufgerichteten Leiber, vor allem aber durch die menschenähnlichen Gesichter liefen und zuckten Ströme einer furchtbaren, unbekannten Kraft-so als wären sie nicht einfach da, wie Marmorstein eben vorhanden ist, sondern so als wären sie jeden Augenblick im Begriff zu verschwinden und würden gleichzeitig aus sich selbst heraus neu erschaffen. Und es war, als seien sie gerade deshalb viel wirklicher als jeder Fels.
Atréju empfand Furcht.
Es war nicht so sehr die Furcht vor der Gefahr, die ihm drohte, es war eine Furcht, die über ihn selbst hinausging. Er dachte kaum daran, daß er - falls der Blick der Sphinxen ihn treffen würde - für immer festgebannt und erstarrt stehenbleiben müßte. Nein, es war die Furcht vor dem Unbegreiflichen, vor dem über alle Maßen Großartigen, vor der Wirklichkeit des Übermächtigen, die seine Schritte immer schwerer machte, bis er sich fühlte, als sei er aus kaltem, grauem Blei.
Dennoch ging er weiter. Er blickte nicht mehr
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