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Die Unermesslichkeit

Die Unermesslichkeit

Titel: Die Unermesslichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Vann
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Mängel.
    Sie kniete sich hin und hielt die Stämme fest, während er nagelte. Große, fünfzehn Zentimeter lange Nägel, verzinkt. Ihre Hände waren nass und kalt, die Rinde rau.
    Sie nagelten vier Ecken zusammen, und das war die erste Lage ihrer Wände. Zwei Fünf-Meter-Stämme und zwei Vier-Meter-Stämme, die eine niedrige Begrenzung bildeten. Hügelaufwärts traf der Stamm beinahe auf den Boden. Hügelab war der Stamm gut dreißig Zentimeter zu kurz.
    Beim Dach ziehen wir dann Teillagen ein, um das alles auszugleichen?, fragte Irene.
    Ja, sagte Gary. Das müssen wir dann. Wobei ich glaube, dass ein Dach auch schräg sein kann. Könnte interessant aussehen. Und er lächelte Irene an.
    Irene lachte. Das wäre schön rustikal.
    Abgemacht, sagte Gary. Wir bauen ein schräges Dach.
    Irene legte den Arm um Gary und drückte ihn. Vielleicht klappte es. Vielleicht war es in Ordnung, wenn die Hütte lächerlich aussah.
    Zweite Lage?, fragte er.
    Unbedingt, sagte sie. Ihr war schwindelig, und sie hatte einen Eispickel im Kopf, gab sich aber alle Mühe, das zu ignorieren. Vielleicht brauchte sie mehr Antibiotika.
    Sie maßen wieder aus, und er sägte die Enden zurecht. Der Regen nahm zu, von stärkerem Wind getrieben, sodass sie sich abwandten.
    Irene hielt die Ecken fest, während er nagelte, undsie sah riesige Lücken zwischen den beiden Lagen. An manchen Stellen vielleicht fünf bis zehn Zentimeter Luft zwischen den Stämmen.
    Verdammt, sagte Gary.
    Der Regen kam jetzt seitwärts, als wollte er zeigen, was mit diesen Zwischenräumen passieren würde. Irene warf schnell eine Tramadol ein, als Gary abgelenkt war. Sie hatte fast keine mehr. Sie würde Rhoda um Nachschub bitten müssen.
    Verdammt, sagte Gary wieder. Ich brauche einen Hobel, aber mit der Hand dauert das ewig. All diese Astlöcher und abgeschnittenen Äste, die ganze Rinde. Da komme ich niemals durch. Ich hätte sie vorher hobeln lassen sollen. Ich wusste es. Ich wusste es und habe es nicht gemacht.
    Du machst das zum ersten Mal, sagte Irene.
    Aber ich wusste es. Ich hatte einfach nicht genug Zeit. Ich habe zu spät mit dem Projekt angefangen. Also dachte ich, vielleicht kriege ich es so hin. Wann lerne ich endlich, Zeug nicht zu spät anzufangen?
    Na ja, sagte Irene, ich finde, du bist zu streng mit dir.
    Nein. Ich bin ein Idiot. Ich bin ein unfähiger Idiot, und das bin ich schon immer gewesen. Bei jedem Projekt.
    Gary, sagte sie und versuchte, den Arm um ihn zu legen, aber er stapfte auf die Bäume zu. Schwer zu glauben, dass er fünfundfünzig war. Er hätte zwanzig sein können oder dreizehn oder drei. Bockig wie die Kinder, die sie dreiunddreißig Jahre lang unterrichtet hatte.
    Und das ist es, sagte sich Irene, das wird mein Leben.Man kann sich zwar aussuchen, mit wem man lebt, aber nicht, was aus ihm wird.
    Gary war schnell durch das Wäldchen am Ende des Grundstücks durch. Der Regen prasselte schwer herunter, seine Schritte ebenso schwer, Moderholz knackte. Ihm war, als könnte er ewig weitergehen, quer durch Alaska wandern bis zum Yukon, zu den Northwest Territories, wandern, bis seine Beine ausgebrannt und der Kopf klar waren. Er fand erneut die andere Hütte mit den gleichmäßigen großen Stämmen. Er prüfte die Zwischenräume und wusste noch immer nicht, was sie benutzt hatten. Die Klauen seines Hammers und die Stämme waren so gebogen, dass er nicht richtig reinkam, also holte er weit aus, um in eine der Lücken zu hauen und die Holzwand aufzubrechen. Das hellere Holz freigelegt, die Oberfläche inzwischen beinahe schwarz. Er konnte ein kleines Stück Füllmasse ergattern. Ein grauer Mörtel oder Zement oder Epoxid. Es war nachgiebig, aber kein Gummi oder Silikon. Etwas körnig zwischen den Fingern. Er roch daran und erkannte es nicht. Und er bezweifelte, dass es zentimetergroße Zwischenräume füllen konnte. Nichts konnte die füllen. Er würde Spanplatten darübernageln müssen. Wie in einem Schuppen würde es drinnen aussehen, nicht wie in einer Hütte.
    Gary drehte sich um und schleuderte seinen Hammer gegen einen Baum. Er traf zu leise auf, kein befriedigendes Geräusch. Also hob er ihn auf und warf ihn an einen anderen, näheren Baum, und er prallte so ab, dass Gary zur Seite springen musste.
    Er wollte in die Insel hineingreifen und sie mit denHänden auseinanderreißen, zusehen, wie das Wasser des Sees in die Lücken spülte. Das würde genügen. Nicht weniger.
    Nun, sagte er. Denn es war Zeit.
    Er wanderte zu Irene zurück, die auf

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