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Die Unermesslichkeit

Die Unermesslichkeit

Titel: Die Unermesslichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Vann
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nicht geschlüpft. Ein Zahnarzt, Jim heißt er.
    Wir kennen uns schon, sagte Monique. Vom Coffee Bus. Mark hat uns vorgestellt.
    Sah es so aus, als würde er nicht Hallo sagen?
    Es war ein bisschen leise.
    Das macht er immer. Die Leute meinen dann, er hätte nicht Hallo gesagt, hat er aber.
    Er wirkte ganz nett, sagte Monique. Sie sah Rhoda an und fand sie auf ihre Art sehr attraktiv. Am liebsten hätte sie ihr die Wahrheit gesagt, auf der Stelle, von A bis Z, um sie vor Jim zu bewahren, aber das nützte bestimmt nichts. Rhoda und Jim würden ihr kleines Leben leben, egal, was Monique tat. Bist du hier aufgewachsen?, fragte sie Rhoda.
    Ja. Am Skilak Lake. Toll, da aufzuwachsen. Kann man nach Herzenslust rumstromern.
    Mal einem Bären begegnet?
    Ein paar Mal.
    Erzählst du mir davon? Ich mag Bärengeschichten.
    Eine gibt es, die ist unglaublich.
    Yeah!, sagte Monique. Eine gute. Ich weiß, dass es eine gute Geschichte wird. Und sie drehte sich seitlich, um Rhoda ihre ganze Aufmerksamkeit zu schenken.
    Ich war vier, sagte Rhoda. Eine meiner frühesten Erinnerungen. Ich trug mein rotes Jäckchen, das mit der Kapuze.
    Rotkäppchen.
    Ganz genau. Ich habe diese Jacke geliebt.
    Hervorragend.
    Ich bin auf dem ersten Hügel hinterm Haus, Blaubeeren pflücken. Es ist August, noch immer Sommer, aber wird schon kalt. Noch in derselben Woche kriegten wir Schnee, was im August praktisch nie passiert.
    Wow, sagte Monique.
    Und vielleicht sind die Bären ungeduldiger wegen der frühen Kälte. Keine Ahnung. Jedenfalls schaue ich in den Blaubeerstrauch und habe das Gefühl, ich werde beobachtet. Aus irgendeinem Grund sehe ich hoch, und gut fünf Meter entfernt steht ein riesiger Bär.
    Mein Gott.
    Ja, ein richtig großer Braunbär. Kein Schwarzbär, was vielleicht okay gewesen wäre. Und so nah sieht man keinen Bären. Die kommen nicht einfach so auf einen zu. Sie gehen eher weg. Wenn man sie erschreckt, laufen sie weg. Aber dieser war so nah, der muss mich gerochen oder gehört haben und ist rangekommen.
    Was hast du gemacht?
    Das ist es ja. Nichts habe ich gemacht. Ich stand einfach da und habe ihn angesehen, und er hat mich angesehen. Er war wunderschön und wirkte freundlich, wie ein großer Hund. Ich sagte Hi, und da hat er ein bisschen mit dem Kopf vor und zurück gewackelt, sich umgedreht und das Weite gesucht.
    Du hast Hi gesagt.
    Ja, ich habe Hi gesagt, und jetzt arbeite ich bei einem Tierarzt. Ich habe bei Tieren schon immer so ein wohliges Gefühl gehabt, dass sie uns im Grunde nichts antun wollen. Wir kommen ihnen nur einfach manchmal in die Quere.
    Du kriegst den Preis für die beste Bärengeschichte.
    Sie kamen zum Campingplatz, und Monique lotste Rhoda zum Zelt. Sie parkten ganz in der Nähe, und Carl streckte den Kopf heraus.
    Hey, sagte Monique.
    Nicht zu glauben, sagte Carl.
    Nicht böse sein.
    Es ist nass und eklig, sagte Rhoda. Kommt doch zu uns. Ihr könnt mal richtig trocken werden, abends mit uns essen und über Nacht bleiben. Morgen Mittag bringe ich euch wieder her.
    Monique lachte. Jim würde ausflippen. Wunderbar, sagte sie. Was meinst du, Carl? Willst du hier weiter vor dich hinschmollen oder doch wieder an der menschlichen Zivilisation teilnehmen?
    Ich komme mit, sagte Carl. Ich hasse dieses Zelt.

D ie Baumstämme waren nicht alle gleich. Hellere Birke darunter, Rinde dünn wie Papier. Dann dunklere Fichte. Alle aus diesem Teil Alaskas. Und kein Einziger gerade. Astlöcher und Hubbel und Stumpen. Gary nahm einen nach dem anderen hoch, sichtete ihn, ließ ihn fallen und nahm den Nächsten.
    Wieder Regen, aber diesmal waren sie voll eingekleidet in dicker grüner Anglermontur, mit Stiefeln. Irene warm und trocken.
    Vielleicht hätte ich sie zurechthobeln lassen sollen, sagte Gary.
    Irene schwieg. Saß auf der Podestkante und wartete. Sie würde tun, was immer er für diese Hütte brauchte. Wenn er beschloss, die Stämme mit Lakritz zusammenzubinden oder die Lücken mit Kuchenglasur auszufüllen, würde sie es tun.
    Gary wählte schließlich vier der dunkleren Fichtenstämme aus, maß sie und sägte die Enden so, dass die Ecken aufeinandertrafen. Fünfundvierzig-Grad-Winkel, mit einem Fuchsschwanz, ganz bekam er sie nicht hin. Gelbe Sägespäne, die im Regen orangerot wurden. Der Geruch von Holz, der beim Sägen entstand. Gary, der Ecken anpasste und über die Lücken grübelte.
    Fast, sagte er, aber Irene merkte, dass es ihn bereitsfrustrierte. Er hatte eine makellose Idee im Kopf und sah jetzt die ersten

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