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Die Unermesslichkeit

Die Unermesslichkeit

Titel: Die Unermesslichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Vann
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Zapfsäule auf einem Pier und womöglich noch das verblichene Schild einer Tankstellenkette in einem der Fenster. Ein anderes entpuppte sich als Motorenwerkstatt. Sommerhäuser und offensichtliche Hippieplantagen mit streunenden Tieren und Ersatzteilen im Hof und der Ahnung, dass unter einer der schimmeligen Matratzen dort drinnen bündelweise Marihuana-Geld lagerte. Gary und Irene waren selbst Hippies, ohne Drogen, sie strebten nach mehr, nach etwas Authentischem. Garywollte, wenn er das Dorf betrat, eine archaische Sprache hören.
    In einer größeren Ansammlung von Häusern, die sie aufsuchten, gab es einen Friseurladen mit einem echten Zunftzeichen der Barbiere, einer Stange, die eine Ecke der Veranda stützte. Das gefiel Gary. Das war zwar nicht tausend Jahre alt, gab ihm aber das Gefühl, dass er hier für fünf Cent ein Bad bekommen könnte, sauberes Wasser für zehn. Mindestens stammte es aus Goldgräbertagen, vielleicht. Alles in allem jedoch war die ganze Unternehmung eine bittere Enttäuschung für ihn. Das wahre Alaska schien es nicht zu geben. Keiner schien sich auch nur annähernd für das ehrliche, mühselige Pionierleben zu interessieren, dem er sich hätte hingeben wollen, und keiner dieser Orte war ganz und gar skandinavisch. Keiner gemahnte an das Dorf.
    Bis sie auf der Kenai Peninsula ankamen, hatten sie ihr ganzes Geld verbraucht, und Irene musste einen Job annehmen. Für Vorschullehrerinnen gab es immer Stellen, und sie mochte ihre Arbeit. Es sollte vorübergehend sein, aber Gary hatte nicht vor, je wieder zurückzugehen. Er würde seine Doktorarbeit nicht beenden. Er würde keinen Erfolg haben in seiner Disziplin, und seine Suche nach Alaska war einfach nur ein Ausdruck der Verzweiflung, das Dorf lediglich ein Zeichen dafür, dass es Gary nicht gelungen war, sich in seinem richtigen Leben zurechtzufinden.
    Hätte Irene das auch nur in Ansätzen rechtzeitig begriffen, hätte sie Gary vielleicht verlassen, als es ihr noch möglich war. Aber sie brauchte Jahrzehnte, um derWahrheit auf den Grund zu kommen, nicht nur wegen der Arbeit und der Kinder, sondern weil Gary so ein guter Lügner war, immer so begeistert von der nächsten Chance. Und diese Hütte noch so eine Lüge, ein weiterer Versuch, Reinheit zu finden, das fiktive Leben, das er brauchte, weil er vor sich selbst davongelaufen war.
    Und jetzt lief er auch vor ihr davon, nur verstand sie nicht recht, wieso. Sie spürte es, und jeder andere hätte sie der Paranoia bezichtigt, aber sie wusste, dass es stimmte. Es war so simpel wie ein veränderter Blick, der sie nach und nach unsichtbar machte. Keine andere Frau bislang, aber das würde kommen. Gary stieß gerade an seine Grenzen im Bemühen, sich mit diesem Leben von seiner Verzweiflung abzuschirmen, und wenn er erst mit seiner Hütte, einem dreißig Jahre währenden Traum, gescheitert war, brauchte er wirksamere Zerstreuung.
    Während Irene am Bug kauernd das Ufer auf sich zukommen sah, schien sie an ihrem Leben und Garys Leben zu ersticken. Eine schreckliche Schwere und Atemnot und Panik, und sie wusste, das kam nicht nur vom Tramadol.

R hoda hatte einen knurrigen grauen Perserkater namens Smokey vor sich. Zeit für deine Medizin, sagte sie, und als sie den Kopf nahm, bäumte er sich auf, aber Rhoda war schnell und wusste, wie man Kiefer aufsperrt. Es war vorbei, bevor er auch nur blinzeln konnte. Jetzt können wir wieder Freunde sein, sagte Rhoda.
    Mit Jim war das nicht so einfach. Sie rief ihn erneut schnell auf dem Handy an, bekam seine Mailbox und klappte ihr Telefon zu. Hm, sagte sie.
    Jim traf sich in Juneau mit seinem potenziellen neuen Praxispartner, einem Zahnarzt namens Jacobsen. Mehr wusste sie nicht, was ungewöhnlich war. Jim kaute für gewöhnlich alle Einzelheiten in Länge und Breite durch, aber diesmal gab es keine Einzelheiten, nicht mal einen Anruf. Gestern weg, kein Anruf am Abend, heute weg. Wahrscheinlich war er bei Jacobsen zum Essen gewesen und hatte vielleicht sogar dort übernachtet, bei seiner Familie, wobei sie nichts über diesen Jacobsen wusste, auch nicht, ob er überhaupt Familie hatte.
    Nach der Arbeit fuhr sie zu Jims Praxis und entdeckte zu ihrer Überraschung seinen Suburban auf dem Parkplatz. Sie klopfte an der Praxistür, und kurz darauf öffnete er; er sah müde aus.
    Hey, sagte er. Er trug noch dasselbe wie gestern, mit Falten und leichtem Schweißgeruch.
    Was ist denn mit dir passiert?, fragte sie. Kein Anruf? Und sie umarmte ihn kräftig, froh,

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