Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Unermesslichkeit

Die Unermesslichkeit

Titel: Die Unermesslichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Vann
Vom Netzwerk:
geschlossenen Präsenz, lebendig und namenlos.
    Irene drehte sich um und eilte ins Haus zurück, das Knirschen unter ihren Stiefeln schien näher zu kommen, je schneller sie lief, und sie sah den Schatten einer Eule über ihren Pfad huschen, Sturzflug, still. Ein Omen, eins allerdings, das sie nicht deuten konnte. Verschwand in den Bäumen. Kein Rufen.
    Sie ging schnell hinein, machte die Tür zu und tastete sich im Dunkeln langsam zur Couch am Kamin, legte sich hin, erschöpft. Wollte so gerne schlafen, schwere Augen, aber der Schmerz erlaubte keine Ruhe. Sie musste wieder aufstehen, sich bewegen. In der Reglosigkeit sammelte sich der Schmerz.

C arl lag wach. Moniques Atem zu tief und gleichmäßig, ganz und gar nicht, wie sie sonst schlief. Er achtete darauf, selbst gleichmäßig zu atmen, und wusste, sie würde den Unterschied nicht bemerken. Sie hatte ihn nie so wahrgenommen, wie er sie wahrnahm. Und er fragte sich, weshalb sie ihn jetzt belog, weshalb sie sich jetzt verstellte. Wozu die Mühe? Es war in gewissem Sinn rücksichtsvoller als das, was sie normalerweise tat.
    Sie verstellte sich lange, und als sie schließlich die Decke anhob und das Bett verließ, stand sie einige Minuten reglos da und horchte, ob er sich bewegte. Er atmete weiter gleichmäßig, und schließlich ging sie auf Zehenspitzen davon, drehte leise den Türknauf, öffnete und schloss die Tür praktisch ohne einen Laut.
    Carl wartete. Er hörte nichts mehr. Sah auf die Uhr, beinahe Viertel nach eins. Er wartete noch fünfzehn Minuten, setzte sich dann vorsichtig an der Bettkante auf, ging zur Tür und lauschte, öffnete sie leise und konnte die beiden jetzt schwach hören, konnte ihren Atem hören und sah ein Glimmen vom Wohnzimmer her, ein Flackern. Sie hatten eine Kerze angezündet. Er ging leise um die Ecke, und jetzt konnte er ihre Umrisse sehen, ihre Gestalt, wie sie aufrecht saß und auf Jim ritt, mit abgewandtem Blick.Carl sah nur ihre dunklen Konturen vor dem Kerzenlicht.
    Ihn erstaunte vor allem, wie weh es tat, ein echter Schmerz auf der linken Brustseite. Das Herz nur eine Metapher, hatte er gedacht, und er hatte gedacht, er sei fertig mit Monique, drüber hinweg, ihrer Gemeinheit überdrüssig, aber jetzt hatte sie ihn erwischt, hart und unverzeihlich. Dieses Bild, wie sie mit dem alten Mann schlief, vor Lust die Schultern einrollte, im Kerzenlicht ihre Show abzog, das würde ihn auf jeden Fall begleiten, das würde er nie vergessen. Ihr Abschiedsgeschenk an ihn, ein weiteres in einer langen Reihe gemeiner Geschenke, doch eins, das weiter reichte als alle anderen.
    Carl ging wieder ins Bett und wollte so gern einschlafen, versuchte jedes Ausatmen zu zählen, versuchte, wegzudämmern und zu verschwinden, aber er war noch hellwach, als sie zurückkam, so leise mit dem Türknauf, still über den Boden, vorsichtig unter die Decke schlüpfend. Er atmete weiter gleichmäßig, wusste, dass sie lauschte, hörte schließlich die kürzeren Atemzüge, das Stocken und Stottern ihres echten Schlafs.
    Schrecklich, sie so nah bei sich zu haben, nur wenige Handbreit entfernt. Er sah auf seine Uhr, halb drei, und beschloss, er würde versuchen, wieder aufs Boot zu kommen. Er musste weg von ihr. Auf dem Dock war es kalt, also lag er noch eine halbe Stunde bis um drei, stand dann leise auf, zog sich an und ging in die Nacht, die Straße hinunter zum Fluss.
    Unterwegs zu sein, war ein besseres Gefühl, draußen und nicht mehr darum bemüht, möglichst leise zusein. Knirschen der Stiefel auf Kies, nebliger Atem. Er schwang ein bisschen mit den Armen, rollte die Schultern und versuchte, Monique abzuschütteln. Hörte seine Stimme. Gänsehaut abschütteln. Fast wie ein Zittern. Sie konnte so viele alte Männer ficken, wie sie wollte. Er würde endlich weiterziehen.
    Die Kälte kroch herein, obwohl er sich bewegte, also joggte er eine Weile in seinen Stiefeln, schweres Getrampel. Die einzige Seele auf dieser Straße, Sterne und kein Mond. Alaska eine große Stille, die sich tausend Meilen in jede Richtung erstreckte. Ein offener Raum, eine Chance, etwas so Kleines wie Herzschmerz zu vergessen. Carl wollte die Luft aufsaugen, den Himmel, diese Entfernungen.
    Ein Stück weiter allerdings, als er wieder ging, fühlte er sich verloren und schob sich zwischen die Bäume, um sich zu verstecken, fing an zu weinen, versuchte sich zu beherrschen und schluchzte dann wie ein kleiner Junge. Monique, sagte er, denn sie war seine erste Liebe. Er hätte alles darum

Weitere Kostenlose Bücher