Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Unermesslichkeit

Die Unermesslichkeit

Titel: Die Unermesslichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Vann
Vom Netzwerk:
Schlingern bei langsamer Fahrt extrem, und Carl musste sich festhalten. Mark kam zu ihm, mühelos über das rollende Deck. Pass auf das Netz auf, sagte Mark. Du siehst, wenn sie reingehen. Du siehst es platschen.
    Carl passte auf, sah aber nichts. Hunderte von Lachsen könnten dort draußen sein, aber dies schienunmöglich. Land meilenweit weg, ein Saum in der Ferne, und dieses ganze offene Wasser. Nicht jeder kleine Flecken Wasser konnte so bevölkert sein. Fischen hatte nach seinem Eindruck viel mit Glauben zu tun. Oder mit Verzweiflung.
    Die Reihe der weißen Schwimmer so stramm, dass sie aus dem Wasser ragte, als das Tal einer großen Welle durchrollte.
    Wir befinden uns am Rand einer Kabbelung, sagte Mark und deutete darauf. Siehst du die Baumstämme?
    Carl konnte einige Baumstämme und kleineres Treibholz sehen, das Wasser dunkler auf der anderen Seite, getrennt durch eine dünne Schaumlinie. Sehe ich, sagte er.
    Die Fische dümpeln an der Kabbelung. Wir können nicht direkt rein, sonst versauen wir mit dem ganzen Holz unsere Ausrüstung, aber wir versuchen, dicht an den Rand zu kommen.
    Lass uns ans andere Ende, sagte Dora am Steuerruder.
    Sie ging in den Leerlauf und dann langsam in den Rückwärtsgang, als Mark ans Heck trat. Er nahm noch eine orange Boje von der Reling, drehte die Taue um, und sie waren bereit.
    Sie legte den Vorwärtsgang ein und wendete, um am Netz entlang zu fahren.
    Maschentest, rief Mark Carl übers Motorgetöse zu. Das kann man bei anderen Fischern auch machen, um zu sehen, ob was reingekommen ist.
    Carl blickte auf das Netz, das neben ihnen vorüberzog, und sah nichts.
    Noch kein Glück heute, rief Mark.
    Am anderen Ende des Netzes hob Mark mit einer Stange die gelbe Bojenreihe aus dem Wasser. Er zog sie rasch hoch, klammerte das Schlepptau ans Netz, löste die Boje, und Dora legte erneut den Gang ein, um langsam das Netz zu ziehen und zu straffen.
    Carl hielt sich am Türpfosten fest und dachte an all die Möglichkeiten, auf diesem Boot eine Hand zu verlieren, verheddert in einem der vielen gespannten Taue, alles nass und glitschig und in Bewegung, und heute war ein schöner Tag, große Wellen von einem fernen Sturm, aber kein Wind. Er konnte sich diese Arbeit nicht in rauem Klima vorstellen, wusste allerdings, dass Mark und Dora bei jedem Wetter rausfuhren. Doras Lizenz galt nur für bestimmte Tage, normalerweise montags und donnerstags.
    Dora zog noch eine Viertelstunde am Netz, ging dann in den Leerlauf und rief Mark zu, er solle es einholen. Mark stand am Heck mit einem Fuß auf einem Brett, das mit einem hydraulischen Hebel verbunden war. Marke Eigenbau, um die Arbeit zu beschleunigen. Als er darauftrat, wurde die Winsch angekurbelt und Netz und Schwimmer wurden über die Aluminium-Heckführung gezogen, eine abgerundete Platte mit zwei Pfosten. Dora stand auf der anderen Seite des Netzes, und beide schoben und zogen, damit es gleichmäßig aufgerollt wurde.
    Carl, der Ausschau nach Fischen hielt, konnte nachempfinden, weshalb man sein Leben hier draußen verbrachte. Es ging nicht um Geld oder um Verzweiflung.Es war ein Mysterium. Die Frage, was da unten war, was in diesem Netz war. Sie konnten nichts haben oder Hunderte von Lachsen. Oder sie konnten irgendwas anderes Großes haben, das im Meer lebt. Man konnte an Ungeheuer glauben, wenn das Netz groß genug war. Das Meer unermesslich, doch einen kleinen Teil davon fingen sie ein.
    Mark behielt den Fuß auf dem Brett, die Trommel zog fest an. Carl fragte sich, ob das Boot unter dem Druck bocken konnte. Das Netz kam tropfend aus dem Wasser und spulte sich auf. An diesem Punkt, so schien es, konnte alles kippen, die Taue reißen oder die Trommel splittern. Carl trat von der Tür zurück, hielt sich irgendwo fest und zog sich an die Seite zurück. Er wollte nicht im Weg stehen, wenn etwas riss oder wegpeitschte. Am schlimmsten war der Druck, wenn das Heck von einer Welle angehoben wurde. Eine unglaubliche Spannung.
    Fühlt sich leicht an, rief Mark Dora zu, aber für Carls Empfinden fühlte es sich an, als würde das Boot auseinanderkrachen, als hätte es ein Rückgrat, das biegen und schließlich brechen konnte.
    Ein einsamer Lachs kam mit dem Netz über die Bordkante, und Mark nahm den Fuß vom Brett. Schnell packte er den Fisch und zupfte ihn mit einer zügigen Abwärtsbewegung aus dem Netz.
    Dann wieder leeres Netz, lange Umdrehungen der Spule mit nichts, nur ein bisschen Seetang, wie kleine braune Meeressträuße, und

Weitere Kostenlose Bücher