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Die Unermesslichkeit

Die Unermesslichkeit

Titel: Die Unermesslichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Vann
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Rucksack jetzt leichter, er konnte ihn mit einer Hand tragen.
    Danach telefonierte er. Rief seine Mutter per R-Gespräch an. Ich muss hier weg, sagte er.
    Was ist mit Monique?, fragte sie.
    Hat mich wegen einem Zahnarzt verlassen. Einem alten Furz, vierzig oder so was.
    Ach, Bärchen.
    Ja, sagte er, den Tränen nahe, wehleidig. Die Stimme seiner Mutter erfüllte ihn ganz und gar mit Selbstmitleid.
    Du findest jemand anders, sagte sie.
    Ja, sagte er. Er konnte kaum sprechen, die Brust eng,und diese ganze Szene kam ihm lächerlich vor, lachhaft. Doch Gefühle kann man nicht spielen, und er war dankbar, seine Mom zu haben, ein Mensch auf dieser Welt, der ihm helfen würde. Sie sagte, sie werde ihm in der nächsten Stunde Geld überweisen, damit er etwas essen und am Morgen den Bus nach Anchorage nehmen könne, und sie werde ihm einen Flug buchen. Liebesbekundungen, und dann wanderte er zum Strand, um sein Zelt aufzuschlagen. Er hatte Mark suchen wollen, um ihm zu danken, aber inzwischen war es ihm egal. Er war fertig mit Alaska.

D er erste Herbststurm. Gary stemmte sich gegen Windböen und Regen, während er die nächste Lage Baumstämme festzunageln versuchte. Zeit. Er war nicht rechtzeitig fertig geworden, und jetzt musste er dafür bezahlen. Ein Temperatursturz von fünfzehn Grad, der Himmel dunkel, eine Böswilligkeit, ein Biest, leibhaft und erpicht. Verständlich, dass die Alten den Dingen Namen gegeben hatten. Der See eine Bestie, auch zu Schaumkronen erweckt, Brandungswellen, die sich zwei Meter hoch aufbäumten, gegen das Ufer schlugen. Der Wind in Böen, verdichtet, kälter und kälter, geboren im Eisfeld, beschleunigt im Windkanal über dem Skilak Glacier, durch Berge getrichtert.
    Atol ytha gewealc , rief Gary, das schreckliche Tosen der Wogen. Irene im Zelt, er war allein und konnte reden. Bitre breostceare , bitteres Herzweh, hu ic oft throwade , wie oft ich litt, gewindcdagum , in Tagen der Mühsal, atol ytha gewealc . Wegen dieses Gedichts hatte er zur See fahren wollen, aber er hatte es nicht getan. Dieser Sturm vielleicht die größte Annäherung bisher. Iscealdne sae , eiskalte See, winter wunade , im Winter bewohnt, wraeccan lastum , auf Pfaden des Exils, und das stimmte. Er hatte beinahe sein ganzes Erwachsenenleben im Exil zugebracht, in Alaska, einem selbstgewählten Exil, das ebenso gut war wie jedes Meer,und jetzt wollte er das Schlimmste erleben, was dieser Sturm für ihn bereithielt. Er wollte frühen Schnee, er wollte leiden. Er wollte den Preis zahlen. Her damit, du Wichser, brüllte er in den Sturm. Isig fethera , schrie er. Eisflügelig.
    Er versuchte, einen Blick auf das Boot am Ufer zu werfen, aber der Regen bohrte sich in seine Augäpfel, Nadelstiche, die Luft mit Wasser getränkt, dass er keine zwanzig Meter weit sehen konnte. Das Boot bereits an Land getrieben, gegen Felsen geschlagen und gestoßen, aber es war aus Aluminium und würde überleben, leider. Besser, es wäre aus Holz und würde zersplittern, gebrochener Kiel, kein Weg zurück, besser, die Insel wäre unbewohnt von anderen, niemand, der helfen konnte. Gary wollte verlassen sein, allein, nicht einmal Irene als Zeugin. Er wollte, dass sie verschwand, spurlos, nie dagewesen. Bittere Frau, schmollend im Zelt, Bestrafungen ersinnend, die schlimmer waren als jeder Sturm.
    Gary hielt das Holz fest und schlug Nägel ein, drückte das Holz zusammen, fügte eine Wand, die nichts abhalten würde. Holz eine Genugtuung, weil es einmal lebendig war. Eine Möglichkeit, es der Erde heimzuzahlen, seine eigene kleine Bestrafung zu verabreichen.
    Er stand schwankend auf dem Podest und fing sich bei jeder neuen Böe, hielt die linke Hand am Holz. Nägel zwischen den Zähnen, weitere in seiner Tasche. Geschmack nach verzinktem Stahl. Arme und Schultern inzwischen zäh, fit, drahtig vom Einsatz, genügend Zeit hier draußen. Muskeln eine Form der Erinnerung undRückkehr, harte Arbeit der einzige Trost. Also schuftete er stundenlang, schnitt neue Baumstämme, sägte ihre Enden und legte sie zurecht, hämmerte wieder. Rammte Streben darunter, passte die Wände ein wenig an, scherte sich nicht darum, ob sie jemals wirklich passten. Das Podest war zum Käfig geworden, zu einem Kampfplatz.
    Das Zelt ein ganz anderer Kampfplatz. Der alte Trampel schäumte, wartete. Aber das stimmte natürlich alles gar nicht. Er sah durchaus, dass er sich in diesem Unwetter einfach nur aufregte. Das richtige Leben nicht so simpel. Seine Beziehung zu dem Trampel

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