Die Unermesslichkeit
draußen etwas schiefging? Sie kamen nicht weg von der Insel, konnten niemanden anrufen.
Verdammt, sagte Rhoda. Sie versuchte es noch ein paarmal, setzte dann rückwärts raus und fuhr langsam auf den belebten Highway. Sie wollte eine Hähnchenpastete. Trostfutter. Kalorienbombe, aber sie brauchte etwas.
Ein weiterer Sprint über einen von Pfützen übersäten Parkplatz, dann saß sie in einer Nische, trank heißen Tee und wartete auf ihre Pastete. Sie fühlte sich verloren, allein. So was passierte mit ihr an Regentagen, dazu noch der misshandelte Hund, der starb, ihre Eltern, die unerreichbar auf dieser Insel hockten, und Jim, der sie nicht heiraten wollte. Und ihre besten Freunde waren mit den Jahren alle weggezogen, an Orte wie New York und San Diego und Seattle, bessere Orte. Keiner blieb, es sei denn, man steckte fest. Niemand zum Reden. Ihre Mutter, aber die konnte sie nicht erreichen.
Rhoda legte die Stirn auf den Tisch und blieb so, bis die Pastete kam.
Müde, Schätzchen?, fragte die Kellnerin.
Nein, nur ungeheiratet und ungeliebt.
Ach, Schätzchen, sagte die Kellnerin und drückte Rhodas Schulter. Ich finde ja, Männer sind wie diese Pastete, nur hat Gott die Füllung vergessen.
Ha, sagte Rhoda. Danke.
Gern geschehen, Schätzchen. Sagen Sie einfach Bescheid, wenn Sie noch was brauchen.
Rhoda hob vorsichtig den Deckel ab, legte ihn daneben und teilte sich Teig und Füllung so ein, dass sie nicht am Ende eins von beidem übrig hatte. Die Pastete war gut. Nahrung fürs Gemüt. Sie hätte am liebsten geweint, beherrschte sich aber. War Heiraten zu viel verlangt? Sie war bereit, alles zu geben, ihr ganzes Leben, war es dann wirklich zu viel verlangt?
Jim war derjenige, der sie aufgefordert hatte, zu ihm zu ziehen. Ständiger Zugriff auf Sex. Vielleicht war das alles. Lästig, quer durch die Stadt zu fahren, und ihre Wohnung klein und dunkel, mit altem Teppich. Vielleicht hatte er sie nur aufgefordert, zu ihm zu ziehen, um diese Wohnung nicht mehr sehen zu müssen. Sie bot Dienste, das war alles. Sex, Kochen und Putzen, Botengänge und Hilfe mit dem Schreibkram. Sie sollte Geld dafür nehmen.
Sie aß ein größeres Stück Teig, ihr war danach, auch wenn das Verhältnis nachher nicht mehr stimmte. Alles sollte anders sein. Er sollte sie lieben und für sie sorgen wollen. Der Liebe sollte die Sorge folgen. Eigentlich lag das auf der Hand.
Rhoda machte die Augen zu und hörte auf zu kauen, starrte einen Augenblick in den leeren dunklen Raum hinter ihren Augen. Sie spürte, wie ihre Mundwinkel sich finster senkten, und ihr war egal, ob das jemand sah. Ihr Gesicht schwer, die Wangen alt. Sie kaute weiter und schluckte. Nichts in ihr außer Sehnsucht. Nach einem Zuhause und einem Ehemann und dem Ende derGeldsorgen und dem Ende der Sorge um ihre Mutter. Sie würde die Zeit drangeben, die sie brauchte, um auf die andere Seite zu gelangen. Die Wochen und Monate nicht leben, wenn es einen Schnellvorlauf gäbe zu besseren Zeiten.
Schätzchen, sagte die Kellnerin, und Rhoda machte die Augen auf. Nur Nachtisch konnte da jetzt noch helfen.
Rhoda lächelte. Ein Eisbecher, mit allem.
Recht so.
Rhoda war schon ziemlich satt, aß aber die letzten Bissen ihrer Pastete, um den Weg frei zu machen für den Eisbecher. Teures Mittagessen, und ihr ging der Teig aus, aber egal.
Ihre Kellnerin hatte recht. Sie verstand überhaupt nicht, wo bei Jim die Füllung war. Schöner goldener Teig außenrum. Zahnarzt mit Geld und Ansehen. Als sie erzählte, dass sie mit ihm zusammen sei, waren alle beeindruckt. Sein Haus passte auch in diesen Traum. Ihr Leben ein gemachtes Bett.
Und er konnte witzig sein. Er dachte sich sogar kleine Lieder aus, Lieder über sie, wobei das jetzt auch schon eine Weile her war. Und er sah keinen Sport oder überhaupt fern, das war gut. Er hatte keine widerlichen Männerfreunde, beziehungsweise gar keine Freunde, das war wohl eher negativ als positiv. Er jagte nicht und fischte nicht, das blieb ihr also erspart. Er bastelte keine lächerlichen Autos in der Garage. Er sah sich nicht heimlich Pornos an und war auch nicht süchtig nach Computerspielen. Aber wofür lebte er eigentlich? Waswar ihm wichtig? Sie, hatte sie einmal gedacht, und ihre gemeinsame Zukunft, eine Familie. Er hatte von Kindern gesprochen, aber vielleicht war sie es auch gewesen, die von Kindern gesprochen hatte. Sie hatte keine Ahnung, was er wollte, und wenn sie das nicht wusste, dann wusste sie vielleicht überhaupt nicht, wer er
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