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Die Unermesslichkeit

Die Unermesslichkeit

Titel: Die Unermesslichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Vann
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nicht so simpel. Aber es tat gut, hier draußen zu stehen und ein bisschen Dampf abzulassen, und jetzt hatte er Appetit auf Mittagessen.
    Hey Reney, sagte er, als er den Reißverschluss aufzog. Platz für einen alten Mann hier drin?
    Er hörte so etwas wie ein Grunzen, duckte sich schnell hinein und zog den Reißverschluss wieder zu.
    Wow, sagte er. Dieser Sturm hat’s in sich.
    Mach unsere Sachen nicht nass.
    Ich sehe mich vor. Und er blieb am Rand bei der Klappe, als er Mantel, Latzhose und Stiefel abstreifte. Gut, ein Zelt mit voller Stehhöhe zu haben, sagte er, aber er sah, dass sich eine Menge Wind darin fing. Irene lag in ihrem Schlafsack. Immer noch nicht gut?, fragte er.
    Nein.
    Konntest du schlafen?
    Nein.
    Weil das Zelt im Wind hin und her schwankt?
    Ja, das und der Schmerz. Und nicht zu Hause zu sein.
    Tut mir leid, sagte er.
    Schon gut. Ich weiß, dass wir hier draußen sein müssen, um vor dem Schnee fertig zu werden.
    Gary kroch neben sie in seinen Schlafsack. Mittag, aber dunkel. Dauert nicht mehr lang, sagte er. Versprochen. Dann sind wir in der Hütte und haben ein Dach.
    Irene antwortete nicht. Sie lag zusammengerollt, Gesicht abgewandt.
    Also lag er in seinem Schlafsack und blickte hinauf ins schwach hinterleuchtete blaue Nylon. Wütende Bewegung, das Tosen unglaublich. Als würde man in einem Hurrikan leben. Wenn man dalag, konnte man Angst bekommen, auch wenn nichts passierte. Das Zelt würde nicht einstürzen. Der Sturm würde nicht hereinkommen. Sie waren in Sicherheit. Doch wenn man genügend Zeit in dieser Enge zubrachte, konnte man bald alles glauben. Man konnte das Ende nahen fühlen. Schrecken, aufgetürmt aus dem Nichts, aus Nylon und Wind. Der Geist so anfällig.
    Man kann verrückt werden, wenn man hier im Zelt liegt, sagte er zu Irene.
    Ja.
    Vielleicht solltest du ein bisschen mit rauskommen.
    Nein.
    Es ist nicht so übel draußen. Kalt, aber nicht so kalt. Und das Regenzeug hält.
    Nein danke.
    Sie drehte durch, das merkte er. Wurde hier drin ein bisschen verrückt. Aber im Grunde konnte er nichts machen. Selbst wenn sie wollten, konnten sie in diesemSturm nicht mit dem Boot raus. Also machte er die Augen zu und versuchte, etwas zu schlummern. Danach würde er etwas essen und weiterbauen. Es war eine schlichte Hütte. Das konnte nicht so lange dauern. Er musste nur einfach alles zusammennageln.
    Er versuchte, nicht an die Hütte zu denken. Er konnte nie schlafen, wenn die Gedanken kreisten. Und er versuchte, das Zeltgetose auszublenden, aber nach etwa zwanzig Minuten gab er auf. Er nahm sich Erdnussbutter und Marmelade, schmierte sich ein Sandwich und zog sich beim Essen das Regenzeug an.
    Ich gehe, sagte er.
    Grüße an den Sturm.
    Ha, sagte er, trat in die Böen hinaus und zog schnell den Reißverschluss zu. Er drehte sich mit dem Rücken zum Wind, spürte selbst durchs Regenzeug einen kurzen Kälteschauer und stopfte sich den Rest des Sandwichs rein. Kaute zu Ende und steckte sich ein paar Nägel in den Mund. Ein bisschen Zink zum Nachtisch, sagte er sich und genoss die Situation, in den Wind gebückt mit dem Hammer in der Hand. Er hätte ein Wikinger sein können, der in den Sturm hinauszog, nur mit Fell behangen, mit Schwert und Schild. Oder einem Streithammer, einem großen Eisenstück am Ende eines Stocks. Er hätte das gekonnt. Er wäre Manns genug gewesen. Rudern und Segeln, mit jeder Welle die Gischt, Tage oder gar Wochen auf dem Wasser in der Erwartung, Land zu sichten. Und wenn es sich dann tatsächlich aus dem Nebel schälte, würden sie an der Küste entlangschleichen auf der Suche nach einer Siedlung, klein, auf einerLandspitze hockend oder versteckt in einer Bucht. Und sie würden aufs Land zuhalten, direkt auf den Strand laufen, das Vorschiff auf Sand, und mit ihren Hämmern und Schwertern und Speeren über die Seiten springen und die Männer abschlachten, die gekommen waren, sie zu begrüßen. Das Gefühl, einem anderen Mann mit dem Hammer auf den Kopf zu schlagen. Unvergleichlich, da war sich Gary sicher. Brutal und echt. Wie Tiere, nichts Trügerisches. Die Stärkeren töten die Schwächeren.
    Und dann würden sie in den Ort hineinlaufen, Lehmstraßen und Katen, Stöcker und Reetdächer, und sie würden wissen, dass die Männer bereits alle tot waren. Frauen und Kinder, und Gary vor einer Hütte mit einer Frau darin. Sie hätte Angst. Nackte Beine, und hier, merkte er, rutschte er in schlechte Filme ab, keiner hätte nackte Beine in dieser Umgebung und nur oben

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