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Die Unermesslichkeit

Die Unermesslichkeit

Titel: Die Unermesslichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Vann
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schmierte Sandwiches. Machte vier, für den Nachmittag gleich mit. Mandelmus und Preiselbeerkonfitüre, nicht schlecht.
    Essen fassen, rief sie aus dem Zelt. Kniend wie vor einem Altar, aber für welchen Gott? Ein Außenposten der Gläubigen, die sich noch auf keinen Namen geeinigt hatten. Die ihren Gott noch formten, noch zu ihren Ängsten fanden und allen Konsequenzen. Vor allem aber, wofür stand dieser Gott? Irene wollte kein Leben nach dem Tod. Dieses Leben war mehr als genug. Und sie brauchte keine Vergebung. Sie wollte einfach nur zurück, was man ihr genommen hatte. EinenFundbüro-Gott. Das wäre ausreichend. Keinen weiteren Firlefanz, nichts Mystisches. Einfach nur her mit dem, was man ihr genommen hatte. Geht das?, fragte sie.
    Natürlich keine Antwort. Das Zelt genauso wild wie Flammen, aber um Zeichen zu deuten, müsste man sie sehen wollen. Man müsste halb debil sein oder aus einer anderen Zeit. Das war das Problem mit dem Jetzt. Man konnte nicht glauben, und nicht zu glauben, war furchtbar.
    Gary ließ sich neben sie sacken, noch so ein potenzieller Büßer auf Knien. Also, sagte er. Ich habe ein paar Rahmen zusammengehämmert.
    Das Haus des Herrn werde erbaut, sagte Irene. Halleluja.
    Wie bitte?
    Entschuldigung, sagte Irene. War ein Witz. Hier so auf den Knien komme ich mir vor wie in einer Kirche.
    Hm, sagte Gary. Du hast recht. Ungläubige beim fremden Ritual, wie die angelsächsischen Christen. Wir haben sogar den Sturm da draußen. Sie würden eine christliche Beerdigung ausrichten, aber für alle Fälle trotzdem den Kopf abschlagen. Dann würden sie woanders noch ein paar lebendige Köpfe abschlagen.
    Klingt gut, sagte Irene. Wenn ich lange genug hier draußen bleibe, könnte ich wahrscheinlich einen Mord begehen.
    So schlimm ist es nicht.
    Ich wäre zwar lieber bewusstlos, aber davon abgesehen ist es ganz nett, ja.
    Irene.
    Sie kaute ihr Sandwich und sagte nichts mehr. Ihr war nicht nach Reden. Einen Augenblick hatte alles heiter ausgesehen. Und dieser Augenblick hatte etwa eine halbe Minute angehalten. Das Zelt ein Loch vor ihnen, das sie lockte. Sie wollte sich wieder hinlegen.
    Wir brauchen ein Dach, sagte Gary. Wenn wir die Phase erreichen, sieht alles besser aus.
    Das Mandelmus war zu salzig, das Sandwich pappte in ihrem Mund. Rhoda fehlt mir, sagte sie. Früher ist sie jeden Tag oder alle zwei Tage vorbeigekommen, das kann sie jetzt nicht mehr.
    Wenn wir fertig sind, kann sie rauskommen und uns besuchen.
    Du hast mich von allen abgeschnitten. Und damit meine ich nicht erst jetzt. Ich meine seit dreißig Jahren. Mich von meiner Familie abgeschnitten, von deiner Familie, von Freunden, die wir hier hätten haben können, von meinen Arbeitskollegen, die du nicht bei dir zu Hause haben wolltest. Du hast mich einsam gemacht, und jetzt ist es zu spät.
    Moment mal, Irene. Ganz langsam. Du sattelst hier gerade einen tonnenschweren Ausraster.
    Du hast mein Leben zerstört, du Scheißkerl.
    Schön, sagte er. Ich habe dein Leben zerstört. Gary ließ sein ungegessenes Sandwich liegen und stakste davon, um an seinem eigenen unförmigen Tempel weiterzuhämmern.
    Und wozu das Ganze?, fragte Irene. Warum musste ihr alles genommen werden? Im Ruhestand, die Kindererwachsen, Freunde und Familie weggebrochen, alles, was ihre Ehe einmal ausgemacht hatte, was sie ausgemacht hatte. Alles weg. Was war übrig?
    Sie aß ihr Sandwich auf und stellte sich dann in Regen und Wind, leere Wasser, die nicht die Kraft zur Läuterung besaßen, ging zur Hütte, kletterte über die Rückwand und stellte sich neben ihren Mann, um zu drücken, damit er eine klobige Stütze setzen konnte, einige zusammengenagelte Kanthölzer. Sie sagte nichts, und er sagte nichts. Sie arbeiteten nur, erst an einer Seite des Fensters, dann an der nächsten, Gary auf den Knien, Schulter gegen die Wand gestemmt, um die Stämme an die Kante des Sperrholzbodens zu schieben und Nägel einzuschlagen.
    Irene wusste, dass es ihr leid tun sollte, aber sie fühlte nichts. Sie überließ Gary der Aufgabe, das Fenster auszusägen, ein Loch in der Wand, das ihre einzige Aussicht werden sollte, ein offensichtliches Symbol, so wollte es scheinen, für die Verengung ihres Lebens, und ging ins Zelt zurück, um sich hinzulegen.
    Das Zelt über ihr so viel lauter als alles andere, dass sie schließlich einschlief, in die einzig wahre Zuflucht driftete. Als sie aufwachte, war es Nacht, und Gary lag neben ihr in seinem Schlafsack. Bist du wach?, fragte

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