Die Unersättlichen: Ein Goldman-Sachs-Banker rechnet ab (German Edition)
verhält, den Eindruck vermittele, das skrupellose Vorgehen sei nicht nur erlaubt, sondern erwünscht. Das amoralische Verhalten greife immer weiter um sich, bis es zur Norm werde.
Diese moralische Erosion wurde sehr schnell bei Goldman Sachs sichtbar. Welch schrieb über die Bedeutung der Unternehmenskultur:
Es ist eine der ewig unveränderlichen Regeln im Wirtschaftsleben, dass «weiche», kulturelle Faktoren genauso wichtig sind wie harte Zahlen. Und wenn Sie es mit Ihrer Unternehmenskultur wirklich ernst meinen, dann müssen Sie diejenigen unter Ihren Mitarbeitern, die diese Kultur untergraben – öffentlich hängen. Das ist kein schöner Anblick. Aber Tatsache ist, dass es kein Zuckerschlecken ist, eine Unternehmenskultur aufzubauen, die von den Mitarbeitern höchste Integrität verlangt. Und doch glauben allzu viele Führungskräfte aus irgendeinem Grund, die Werte eines Unternehmens ließen sich in einem fünfminütigen Gespräch zwischen dem Personalchef und einem neu eingestellten Mitarbeiter kurz abhandeln. Oder sie glauben, Kultur bestehe darin, sich auf einen bestimmten Sprachgebrauch zu einigen – «ehren» wir unsere Kunden, oder «respektieren» wir sie? Was für ein Irrtum.
Es geht bei der Unternehmenskultur nicht um Worte, es geht um Taten – und Konsequenzen. Es geht darum, dass jede Führungskraft weiß, dass ihre Hauptaufgabe darin liegt, Werte zu verkörpern, vorzuleben und entschlossen und konsequent durchzusetzen. Die Mitarbeiter müssen wissen, dass sie bei jeder Leistungsbeurteilung sowohl nach ihren Zahlen wie nach ihren Werten beurteilt werden.
Jetzt, wo der Ertragsdruck stieg, galt bei Goldman Sachs die althergebrachte Art, Geschäfte zu machen – also mit pauschalen Provisionen für transparente, börsennotierte Produkte –, als nicht mehr profitabel genug. Ungefähr zu der Zeit, als der Vergleich mit der Börsenaufsicht geschlossen wurde, tüftelte ein Goldman-Quant eine sexy neue «Blackbox» aus – mit einem sehr unsexy Namen. Nennen wir sie hier Clorox. Der wahre Name war noch nichtssagender. Aber nach dem Abacus-Desaster wollte die Firma unbedingt vermeiden, dass neue strukturierte Produkte hochtrabende Namen erhielten, wohl damit sie möglichst wenig Aufmerksamkeit auf sich zogen.
Clorox war das, was man ein «multi-asset-class product» nennt und was nicht viel mehr heißt als: «Gib uns dein Geld, und wir werden deine Mittel auf der Grundlage traditioneller Modelle umschichten (wobei wir bei jeder Umschichtung einen satten Aufschlag kassieren).» Dieses Produkt war so etwas wie eine aufgemotzte Version des klassischen Portfoliomanagements. Es war so, als würde man eine Wurststulle nehmen und sie einem Kunden als «Panini del Bologna» verkaufen. Ersteres ist 50 Cent wert. Letzteres kann man für 8 Dollar verkaufen.
Einige Kunden schlugen zu, insbesondere die Sorte, die ich weiter oben erwähnt habe: der Einfältige Kunde und der Kunde-der-nicht-zu-fragen-versteht. Auch mehrere Stiftungen und Wohltätigkeitsorganisationen bissen an und kauften Clorox.
Als mich meine Vorgesetzten drängten, ich solle versuchen, Clorox an einige meine größeren Kunden zu verkaufen, wusste ich sofort, dass das nichts für sie war. Ja, sie hätten es mir übelgenommen, wenn ich das Thema überhaupt angeschnitten hätte, weil sie ihr Portfolio selbst strukturieren und verwalten können. Worin läge für sie der Nutzen eines undurchschaubaren, komplexen Blackbox-Produkts namens Clorox, das nur der Wall Street satte Gebühren einbrachte? Sie könnten mit börsennotierten Aktien, Terminkontrakten und Optionen das gleiche Ziel erreichen. Ich wehrte mich also dagegen, meinen Kunden Clorox aufzuschwatzen. Es war nicht in ihrem Interesse.
Als die Sales-Leute ausschwärmten, um Wohltätigkeitsorganisationen, Lehrer-Pensionsfonds und kleinen Hedgefonds, die gerade ihren ersten Geschäfte machten, Clorox anzudrehen, fragte ich mich: «Haben wir aus den Senatsanhörungen oder der Krise irgendetwas gelernt?» Und ich musste mir selbst eingestehen: «Nein, wir haben nichts daraus gelernt – im Gegenteil, alle reden nur noch von Gross Credits.»
Dann brachte die Firma ihre «Studie zur Geschäftspraxis» auf den Weg. Man gab sich selbstkritisch: «Na gut, wir haben nicht alles richtig gemacht, also stellen wir die Dinge mal auf den Prüfstand.» Alle Topmanager mussten sich in einem internen Ausschuss einer Befragung unterziehen. Geleitet wurde der Ausschuss von Mike Evans, einem langjährigen
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