Die Unersättlichen: Ein Goldman-Sachs-Banker rechnet ab (German Edition)
hatte. Als Investoren sahen, dass die Aufseher die umsatzstärkste Bank an der Wall Street aufs Korn genommen hatten, fragten sie sich: Was kommt als Nächstes ans Licht? Wie lautet die nächste Hiobsbotschaft? Die Finanzwelt war jedenfalls bereits ziemlich aufgewühlt, als der 6. Mai 2010 kam.
Ich erinnere mich noch ganz genau, dass auf den Märkten die Kurse wegen der griechischen Schuldenkrise rückläufig waren. Am frühen Nachmittag verließ ich meinen Schreibtisch und ging auf die Toilette. Ich erinnere mich, dass ich dort noch mit jemandem plauderte – mit unserem Strategen für Futures –, und als ich keine fünf Minuten zurück an meinen Schreibtisch kam, sah ich, dass die Kurse massiv eingebrochen waren: Der Dow Jones hatte kurzzeitig neun Prozent verloren, hatte sich dann aber rasch wieder einigermaßen erholt. Dieser Ausschlag um 1000 Punkte war eine der größten Kursschwankungen in der Geschichte des Dow Jones. Alle starrten auf ihre Bildschirme. Was war da los, um Himmels willen? Uns fiel noch etwas anderes auf: Aktien wie Accenture, CenterPoint Energy und Exelon waren kurzzeitig überhaupt nichts mehr wert und notierten mit 1 Cent pro Aktie. Das war unmöglich. Wie konnte der Börsenwert eines Unternehmens in weniger als einer Sekunde praktisch auf null sinken? So etwas war einfach noch nie vorgekommen.
Das war der «Flash Crash».
Zwischen 14 : 42 Uhr und 14 : 47 Uhr fiel der Dow Jones um weitere 600 Punkte unter die 300 Punkte, die er bereits zuvor eingebüßt hatte – sodass er an diesem Tag insgesamt fast 1000 Punkte verlor. Um 15 : 07 Uhr hatte der Markt den größten Teil der 600 Punkte wieder gutgemacht.
Fast immer wenn es zu einem jähen, massiven Kurseinbruch kommt, der sich nicht mit einer aktuellen Nachrichtenmeldung erklären lässt, spekulieren die Investoren: «Ach, da hat sich einer beim Handel mit E-Mini-Futures mit dem ‹dicken Finger› vertippt», soll heißen, irgendein ungeschickter Trader hat versehentlich ein gigantisches Volumen abgestoßen – weit mehr, als er eigentlich wollte – und dadurch dieses Chaos an den Märkten angerichtet. Anfang der nuller Jahre gab es einige berühmt-berüchtigte mutmaßliche Tippfehler, als die elektronischen E-Minis aufkamen und die traditionellen Big-Future-Kontrakte ablösten, die bis dahin auf dem Parkett der Chicagoer Terminbörse gehandelt worden waren. Wir scherzten in unserer Abteilung, der Name der geheimnisvollen Person, die sich immer wieder «vertippte», laute «E-Mini-Bandit».
Aber war der Blitzcrash tatsächlich das Werk des E-Mini-Banditen?
Was wirklich geschah, ist mir bis heute unerklärlich – und ich vermute mal, dass es allen anderen genauso geht. Verschiedene Hypothesen wurden vorgebracht. In einem waren sich alle einig: Der Crash musste durch den massiven Verkauf von E-Mini-S&P-500-Futures ausgelöst worden sein – ebenjenem Produkt, das ich selbst vor einigen Jahren mit Corey gehandelt hatte, der liquideste Terminkontrakt der Welt. Während dieser bizarren fünfundzwanzig Minuten kamen etliche Vorgesetzte, die sich an meine Erfahrungen mit diesen Futures erinnerten, auf mich zu und fragten mich, wie ich mir diesen Vorfall erklärte. Ich sagte ihnen, ich glaubte nicht, dass die E-Minis die Ursache dafür seien. Ihr Handelsvolumen reiche einfach nicht aus, um einen derartigen Kurssturz zu verursachen.
Was mich – und Millionen von Menschen in ganz Amerika, die in Aktien investieren – an dem Blitzcrash beunruhigte, war die Tatsache, dass er die extreme Instabilität eines Marktes offenbarte, der irrwitzig komplex geworden war. Es gab miteinander verbundene Technologie-Plattformen und Sicherungssysteme, die jedoch nicht unbedingt in der Lage waren, miteinander zu kommunizieren, wenn etwas schiefging. Der Hochgeschwindigkeitshandel – Computer, die eine Million Transaktionen pro Sekunde ausführten – machte inzwischen einen großen Anteil des täglichen Handelsvolumens aus. Die SEC immerhin glaubte schließlich den Schuldigen in der Fondsgesellschaft Waddell and Reed gefunden zu haben, die mit einer einzelnen Transaktion den Crash ausgelöst haben sollte, und die Medien griffen diese These begierig auf. Niemand wird mich je davon überzeugen können, dass ein Fondsmanager, der E-Mini-Terminkontrakte im Wert von 2 Milliarden Dollar verkaufte, verantwortlich für das war, was an jenem Mai-Nachmittag geschah. Als ich in Coreys Abteilung war, habe ich selbst routinemäßig mit diesen Futures im Wert von 3
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