Die Unersättlichen: Ein Goldman-Sachs-Banker rechnet ab (German Edition)
Ersteres eine treffende Beschreibung des Kleidungsstils in der Fleet Street 120. Edle Anzüge waren angesagt bei Goldman London. Jeder trug sie, und jeder schien eine Menge davon zu besitzen. Die großen Tiere ließen sich ihre Anzüge in der Savile Row maßschneidern (für etwa 5000 Pfund das Stück). Kleinere Tiere wie ich besorgten sich ihre entweder in Asien oder bei einem italienischen Schneider, Gianni, der einmal im Monat in London Station machte. Die typische Kleidung für den Herrn war ein Maßanzug und ein Oberhemd ohne Krawatte (Turnbull & Asser, Thomas Pink oder Charles Tyrwhitt), bei dem die beiden oberen Knöpfe offen gelassen wurden, sodass zumindest ein bisschen Brusthaar zu sehen war.
Muster waren ebenfalls sehr beliebt. Man trug karierte, gestreifte und Windowpane-Anzüge. Auch Farben waren angesagt. Wenn Krawatten getragen wurden, dann mit einer knalligen Botschaft, mindestens grün oder lila. Im Grunde war alles erlaubt, solange es modebewusst war. In dem weit weniger modebewussten New Yorker Büro hätte man sich das meiste davon nicht erlauben können, insbesondere ein Anzug ohne Krawatte war ein Unding. «Casual Friday» bedeutete in New York Khakihosen und Poloshirt. In London bedeutete es, dass man in den Klamotten ins Büro kommen konnte, die man in der Disko getragen hatte, in der man die Nacht durchgemacht hatte. Ein paarmal sah ich Leute sogar direkt nach einer offensichtlich durchgefeierten Nacht ins Büro kommen: Frauen in tief ausgeschnittenen Kleidern, Männer in Jeans und zerrissenen TShirts. London schuf sich seine eigenen Regeln.
Die verschiedenen Abteilungen waren nach Nationalität sortiert. Es gab eine italienische Gruppe. Eine französische Gruppe. Eine deutsche Gruppe und eine skandinavische Gruppe – neben diversen Gruppen für Großbritannien. Dies führte dazu, dass der Handelssaal wie ein Abbild von Europa selbst war: Jeder Bereich hatte seine ganz eigene Sicht der Dinge, und zwischen den Abteilungen gab es sprachliche Verständigungsschwierigkeiten, grenzüberschreitende Wortwechsel und Streitereien, die oftmals mit lauter Stimme ausgetragen wurden.
Ein Managing Director, der mich bei meinen ersten Versuchen, Marktanalysen zu verfassen, ermuntert hatte, war mein Mentor in London. Er lud mich in einen Club im Souterrain des Restaurants Lutyens, direkt gegenüber der Goldman-Niederlassung, zum Frühstück ein, um mir ein paar Insidertipps zu geben. Er sah meinen Terminplan durch und instruierte mich für jedes Meeting. Er sagte mir, bei wem ich mich auf eine härtere Gangart einstellen müsste und wer eher verständnisvoll und entgegenkommend sei. Dies war extrem hilfreich für mich. Ich kannte zwar alle Namen, aber er hatte mit ihnen gearbeitet und war schon mit dem einen oder anderen heftig aneinandergeraten.
Er klärte mich auch auf über die Position, für die ich in Betracht gezogen wurde. Er bestätigte, dass es eine Stelle mit hoher Führungsverantwortung war und dass wenigstens zwei Managing Directors, darunter Corey, darauf spekuliert hatten. Aber meine südafrikanische Herkunft habe den Ausschlag gegeben, sagte er. Auf der obersten Führungsebene war man der Auffassung, dies sei möglicherweise hilfreich bei der Entwicklung von Geschäftsbeziehungen zu ausländischen Kunden. Und da sie sich nicht sicher seien, was für ein Geschäftsvolumen hier zu erwarten war, hatten sie es für zu riskant gehalten, einen Managing Director zu entsenden. Sie hätten meinen Rang als Vice President und meine Erfahrungen als ideal erachtet, sagte er mir.
Er führte mir aber auch vor Augen, dass ein Umzug nicht leicht sein würde. Er hatte bereits drei Ortswechsel hinter sich – von New York nach Tokio, dann nach Hongkong und schließlich nach London. «Sie müssen sich das gut überlegen», sagte er. «Die Sache hat Vor-und Nachteile. Jedes Mal, wenn Sie an einen anderen Standort wechseln, fangen Sie von vorn an, was die Leute betrifft, mit denen Sie zusammenarbeiten. Sie müssen sich erst beweisen. Sie können sich nicht auf Ihrem Ruf ausruhen.» Er wollte mich nicht entmutigen. Er führte nichts im Schilde. Er stand Corey sehr nahe, das wusste ich. Er wollte nur, dass ich mir keine Illusionen machte.
Ich fragte ihn, ob ich die Firma ein bisschen unter Druck setzen solle, um ihnen klarzumachen, was für ein Opfer das für mich war. Ob ich vielleicht eine Art finanzielle Garantie herausschlagen könnte.
«Das sollten sie lieber nicht tun», sagte er. «Bestenfalls geben die
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