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Die Unersättlichen: Ein Goldman-Sachs-Banker rechnet ab (German Edition)

Die Unersättlichen: Ein Goldman-Sachs-Banker rechnet ab (German Edition)

Titel: Die Unersättlichen: Ein Goldman-Sachs-Banker rechnet ab (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Smith
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ihn für sich gewinnen. Sie müssen ihn davon überzeugen, dass Sie der Richtige sind und wieso Sie diesen Job als eine große Chance sehen.»
    Diese Worte machten mich sofort misstrauisch. Woher wusste Corey, dass Daffey nicht begeistert war? Hatte Beth ihn dazu angestachelt, mir das zu sagen? Aber es war klar, dass er mir Feuer unter dem Hintern machen wollte.
    «Und übrigens», sagte Corey, während er mir in die Augen sah, «Sie sollten heiß darauf sein.» Er erwähnte Patrick (den Kollegen, der damals den Labello-Stift auf die Spesenabrechnung gesetzt hatte). Patrick machte jetzt in New York den gleichen Job, für den ich in London in Betracht gezogen wurde. «Denken Sie daran, wie es Patrick ergangen ist», sagte Corey. «Er war ein Niemand und übernahm diese Position, und jetzt ist er auf dem besten Weg, Partner zu werden. Ihnen könnte es genauso gehen. Damit wäre für Sie nicht nur der Managing Director zum Greifen nahe. Wenn Sie sich dort bewähren, haben Sie beste Chancen, zum Partner aufzusteigen. Die Tatsache, dass Daffey und all diese Partner hinter der Sache her sind, zeigt, was auf dem Spiel steht!»
    Und so flog ich nach London. Ich hatte niemandem gesagt, dass ich noch nie dort gewesen war. Ich wollte nicht wie ein Anfänger dastehen.
     
    American Airlines, Business Class, Nachtflug. Ich kam frühmorgens an. Londoner Schmuddelwetter: tiefhängende Wolken und Sichtweite null. Vor dem Terminal wartete ich im Nieselregen auf ein Taxi. Ich war einen Tag früher angereist, um meinen Bruder zu besuchen, der seit ein paar Monaten als Anwalt in London arbeitete – ein glücklicher Zufall. Ich wollte mich auch ein bisschen ausruhen: Ich musste am nächsten Tag topfit sein.
    «Wohin geht’s, Meister?» fragte der Taxifahrer mit Cockney-Akzent.
    «Zum One Aldwych Hotel, bitte», antwortete ich mit Südafrika-Akzent.
    «Sie meinen One The Aldwych?», sagte er, denn das war anscheinend die historisch korrekte Anschrift. «Kein Problem, Meister.»
    Ich fühlte mich wie in einem Kinofilm. Die Taxifahrt kostete 120 Pfund – etwa 190 Dollar – und dauerte über eine Stunde. Ich war froh, dass Goldman Sachs die Rechnung bezahlte. (Später erfuhr ich, dass es ein typischer Anfängerfehler war, ein Taxi zu nehmen: Mit dem Heathrow Express ist man in einer Viertelstunde in London.)
    Die Position, für die ich in Betracht gezogen wurde, war die des Abteilungsleiters US-Equity Derivatives Sales für Europa, den Nahen Osten und Afrika – was bedeutete, das ich Optionen, Swaps, Derivate und andere exotische Produkte an ausländische Hedgefonds, Investmentfonds, Staatsfonds und Vermögensverwaltungsgesellschaften verkaufen würde. Zunächst müsste ich Geschäftsbeziehungen aufbauen, aber Beth und Paul Conti hatten mir gesagt, dass ich innerhalb eines Jahres wohl ein oder zwei Leute einstellen könnte, falls sich das Geschäft wie erwartet entwickeln sollte. Mein Titel wäre Executive Director, was dem Rang eines Vice President in New York entsprach.
    Geplant war, dass ich mich innerhalb von zwei Tagen mit neunzehn Leuten treffen sollte, überwiegend Managing Directors und Partner: Meine Aufgabe war es, sie der Reihe nach davon zu überzeugen, dass ich der Richtige für den Job war. Nur dann, wenn es mir gelang, sie zu überzeugen, hätte ich ein zwanzigstes und abschließendes Meeting mit Michael Daffey.
    Die Gespräche verliefen seltsam.
    Draußen war es kalt und regnerisch, aber die Atmosphäre im Handelssaal der Londoner Niederlassung von Goldman Sachs in der Fleet Street war aufgeheizt und aggressiv. Die Büros befanden sich in zwei benachbarten Gebäuden, die durch einen sogenannten «Skywalk» miteinander verbunden waren. Beide hatten Zeitungsverlagen gehört und stammten aus dem frühen 19. Jahrhundert. Der Handelssaal war deutlich kleiner als der in New York, die Decke viel niedriger, und die Händler und Verkäufer waren dichter zusammengepfercht. Alles war komprimierter. Eher ein U-Boot als ein Flugzeugträger. Der Handelssaal in der New Yorker Zentrale glich einer weitläufigen Fabrikhalle, die Mitarbeiter verteilten sich, soweit das Auge reichte. Bei allen beruflichen Kontakten hielt man sich an die gesellschaftliche Etikette. Goldman Sachs London hatte andere Gepflogenheiten.
    Die Kleiderordnung zum Beispiel. Daffey und die anderen Partner in der Londoner Niederlassung pflegten zu sagen: «Dress British, think Yiddish» – Letzteres eine Verbeugung vor den jüdischen Wurzeln des Unternehmens,

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