Die Unersättlichen: Ein Goldman-Sachs-Banker rechnet ab (German Edition)
Ihnen ein Expat-Paket.» Ich hatte schon etwas davon gehört, war mir aber nicht sicher, was genau es beinhaltete. Er erklärte, dass die Mitarbeiter im Ausland, die «Expatriates», zuweilen eine Gehaltszulage bekämen, um die höhere britische Einkommensteuer und den brutal schlechten Wechselkurs auszugleichen. Aber das stand allein im Ermessen der Geschäftsleitung und wurde nur selten gewährt. Und ich wusste, wie man in der Vorstandsetage dachte: Sie brauchten mir gar nichts zu geben. Sie hatten mir bereits durch die Entsendung nach London eine einmalige Chance gegeben. Der potenzielle Lohn war die Beförderung zum Partner. Sie sagten: «Hier schlummert ein riesiges Geschäftsvolumen. Hol’s dir!»
Und ich wusste, dass sie recht hatten. Es war wirklich eine einmalige Chance, und ich wollte sie nutzen. Gleich nach meiner Ankunft wurde mir klar, dass falsche Prioritäten gesetzt worden waren und sich daher nicht nur die Effizienz erheblich verbessern ließ, sondern auch viele neue Kunden gewonnen werden konnten. Damals konzentrierte sich Goldman Sachs in Europa fast ausschließlich auf strukturierte Produkte. Gegenüber den Kunden hätte es Goldman Sachs nie offen zugegeben, aber im Sales galt die Devise, dass man möglichst nur Großgeschäfte mit hoher Gewinnspanne verfolgen sollte (die sogenannten «Elefanten-Geschäfte»). Sie ignorierten das gewöhnliche Mengengeschäft (das «margenschwache Geschäft», wie es bei Goldman Europe genannt wurde). Manchmal wiesen sie Kunden ab. Ich sah ein großes, unbeackertes Feld vor mir. Ich brauchte nichts weiter zu tun, als ganz gewöhnliche Optionen, Swaps und Derivate an Kunden zu verkaufen, die Goldman Sachs nur selten anrief, und dieses neue Geschäftsfeld würde schon sehr schnell zusätzliche Erlöse von geschätzt über 20 Millionen Dollar in unsere Kassen spülen.
Die Leute, denen ich während meiner zweitägigen Stippvisite begegnete, überwiegend die Bosse aus dem Sales-und Trading-Bereich, waren ebenfalls ein bunt zusammengewürfelter Haufen – Engländer, Holländer, Schweizer, Belgier. Jedes dieser zwanzig-bis dreißigminütigen Gespräche verlief nach dem gleichen Muster: Ich versuchte die Manager davon überzeugen, dass ich der Richtige war, und sie versuchten ihrerseits mich überzeugen, dass es eine Superchance für mich war. Unausgesprochen blieb dabei, dass ich als als Neuer mit meinen neuen Ideen natürlich auch den Status quo in Frage stellte. Es war interessant zu sehen, wie verschieden die Leute darauf reagierten. Ein holländischer Managing Director sagte mir: «Ich sehe da kein großes Potenzial, da lässt sich nicht viel rausholen.» Andre wiederum sagten: «Super Idee, wir haben dieses Geschäft wirklich ein bisschen stiefmütterlich behandelt.» Nach meiner Rückkehr nach New York schickte mir einer der Mitarbeiter, die ich in London kennengelernt hatte, ein Südafrikaner, eine E-Mail: «Hey, Mann, wann kommen Sie rüber? Da wartet eine ganze Welt darauf, von uns erobert zu werden.»
Und dann war da noch Georgette. Jeder, mit dem ich vor meiner Abreise gesprochen hatte, sagte: «Nimm dich vor dieser Frau in Acht.» Gleich am ersten Tag ging ich zu ihr und sagte: «Hallo, Georgette, wie geht’s?» Sie saß an ihrem Schreibtisch, starrte auf ihren Bloomberg-Monitor und tippte etwas.
«Ach, hallo», sagte sie, ohne den Kopf zu wenden.
«Ich wollte dir nur erzählen, wie meine Gespräche bisher gelaufen sind», sagte ich, und ich erwähnte einige der Leute, mit denen ich gesprochen hatte. Sie sah mich immer noch nicht an. «Hast du kurz Zeit?», fragte ich.
«Ist gerade nicht besonders günstig», sagte sie. «Gib mir einfach später Bescheid, wie alles gelaufen ist.»
Ihre Weigerung, Blickkontakt aufzunehmen, hatte etwas Befremdliches und auch Einschüchterndes. Ich war extra aus New York angereist, dachte ich. Wenn ich diesen Job mache, werden wir ziemlich eng zusammenarbeiten. Außerdem kenne ich dich seit neun Jahren. Und da kannst du keine fünfzehn Minuten erübrigen, um eine Tasse Kaffee mit mir zu trinken? Aber Georgette in ihrem Revier zu begegnen, war offensichtlich etwas ganz anderes, als ihr in meinem Revier zu begegnen.
Am zweiten Tag, gegen Mittag, teilte mir die Frau, die meine Treffen koordinierte, mit, sie habe jetzt ein abschließendes Gespräch mit Michael Daffey für mich eingeschoben. Das war eine sehr erfreuliche Nachricht, denn es bedeutete, dass ich bisher eine gute Figur gemacht hatte, dass mir die meisten meiner
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