Die Unersättlichen: Ein Goldman-Sachs-Banker rechnet ab (German Edition)
glanzvolle wie sterile Ambiente eines Handelssaals aus einem Hollywoodfilm. Der Handelsbereich von Goldman kurz nach der Jahrtausendwende wirkte eher ein bisschen schäbig. Auf den Schreibtischen türmten sich Fastfood-Verpackungen, leere Limoflaschen und zerknülltes Papier. Der graue Teppich war abgetreten und fleckig. Steril war hier gar nichts. Die fünfhundert oder sechshundert Mitarbeiter drängten sich wie die Sardinen in der Büchse, Schulter an Schulter, Schreibtisch an Schreibtisch. Man saß mitten zwischen den Familienfotos und Sporttrophäen, den Privatgesprächen und Essensgerüchen aller anderen. Privatsphäre gab es nicht. Es war deshalb eindeutig ein Vorteil, wenn man seinen Nebenmann gut leiden konnte.
Die Abteilung Futures Execution befand sich inmitten einer rechteckigen Anordnung von achtundzwanzig Derivateverkäufern. Corey und ich saßen nebeneinander am Ende einer Tischreihe. Unsere zentrale Position erleichterte es den Verkäufern um uns herum, uns Trades zur Ausführung zuzurufen. Vor uns erstreckten sich in Längsrichtung zwei Reihen mit sieben Verkäufern. Weitere Verkäufer saßen in zwei Reihen direkt hinter uns, waren aber versetzt positioniert, sodass sie freien Blick auf unsere Hinterköpfe hatten. Das Beste an dieser chaotischen Verteilung war, dass die Herrentoilette keine zehn Schritte von meinem Schreibtisch entfernt lag. Ich hatte gern ungehinderten Zugang.
In jeder Reihe saß ein anderes Derivate-Verkaufsteam. Die Untergruppen wurden danach eingeteilt, welche Kunden sie betreuten. Es gab Teams für Makro-Hedgefonds, für Long-/Short-Hedgefonds, für Anlageverwalter, für Investmentfonds, für Pensionskassen, für Versicherungsgesellschaften, für kanadische Kunden. Jedes Team hatte andere Komplexitäten und seinen ganz eigenen Charakter. Und Corey und ich managten den Termingeschäftsverkehr für sie alle.
An meinem ersten Tag – einem Dienstag – rief Corey Goldmans Leute an der Chicago Mercantile Exchange an, Patrick Hannigan und Bob Johnson, und sagte: «Ich möchte euch Greg Smith vorstellen. Er ist ab sofort meine rechte Hand. Bitte seid nett zu ihm, während er sich einarbeitet.»
Chicago als Stadt spielte in der Firmengeschichte von Goldman Sachs schon immer eine wichtige Rolle. Etliche der erfolgreichsten Topmanager – unverhältnismäßig viele sogar – waren aus dem Büro in Chicago gekommen. Um nur ein paar zu nennen: Hank Paulson, ehemaliger Goldman-CEO und US-Finanzminister; Bob Steel, vormals Vizevorstandschef von Goldman, später CEO von Wachovia; Byron Trott, der als «Warren Buffetts Lieblingsbanker» bekannt wurde. John Thain war in der Nähe von Chicago geboren worden, und Jon Corzine hatte dort studiert. Informationen über die beiden Letztgenannten finden Sie auf Google, jeweils unter «antike Anrichte (68 000 Dollar)» beziehungsweise «MF-Global-Debakel». Welche Verbindungen ich dorthin habe? Mittlerweile lebt der größte Teil meiner Familie dort, und ich finde, Chicago ist eine tolle Stadt.
Anfang des neuen Jahrtausends, als sich der elektronische Futures-Handel noch nicht durchgesetzt hatte, wurden die Termingeschäfte unserer Kunden überwiegend in den Pits der Merc (wie die Chicago Mercantile Exchange genannt wurde) ausgeführt. Wir verließen uns daher auf Patrick und Bob, die präzise arbeiteten, die Märkte kannten und Geschäfte schnell und reibungslos ausführen konnten. Durch sie konnten wir vor unseren Kunden gut dastehen. Die beiden hatten die sichersten Hände in der Branche.
Hannigan und Johnson, verriet mir Corey, waren schon fünfzehn beziehungsweise zwanzig Jahre bei Goldman. Sie waren für mich die moralischen Instanzen der Derivate-Abteilung. Beide waren warmherzig, humorvoll und charakterfest – gestandene Familienväter. Patrick – damals Mitte vierzig – war kahl rasiert, hochintelligent, ein bisschen verschroben und sehr belesen. Bob, der «Captain» genannt wurde, weil er den Bereich leitete, war etwas älter – ein grauhaariger, charismatischer Typ, immer ehrlich und korrekt.
An der Merc, wie ich bald selbst feststellen konnte (es war Tradition, Junganalysten nach Chicago zu schicken, damit sie sich eine der letzten Bastionen des altmodischen Handels in der Finanzwelt anschauen konnten), wurde immer noch gearbeitet wie schon seit undenklichen Zeiten: durch Zuruf, Augenkontakt und Handzeichen.
Der Handel war vollkommen transparent, und Patrick und Bob als Ausführende waren es ebenso – sie wollten vor allem den
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