Die Unersättlichen: Ein Goldman-Sachs-Banker rechnet ab (German Edition)
Kunden zufriedenstellen. In ihrem Geschäft wurde nicht getrickst. Ihr Ruf beruhte auf einem einfachen Anspruch: Niemand konnte einen Kundenauftrag besser ausführen oder den Kunden in den Pits besser repräsentieren als Goldman Sachs. Sie setzten sich engagiert für ihre Kunden ein, sicherten ihnen den besten Preis und vertraten ihre Interessen selbstbewusst und loyal.
Außerdem galt: Wen Patrick und Bob in ihr Herz geschlossen hatten, für den setzten sie sich ein und halfen ihm, wo sie nur konnten. Sobald die Arbeit getan war, waren sie große Klatschmäuler und verpassten sämtlichen Derivateverkäufern aus New York, mit denen sie zu tun hatten, einen Spitznamen. Ich war eigentlich der Springbock gewesen, doch damit war es vorbei, als ich in die Hände von Hannigan und Johnson fiel. Sie nannten mich «Gregor MacGregor», mit schottisch-rollendem R. Eine Verballhornung meines Vornamens. Abgesehen davon fanden sie vermutlich einfach, dass es gut klang.
Andere hatten sie aus ähnlichen Gründen mit anderen Spitznamen bedacht. Ein indischer Verkäufer namens Nitin – ein großer Kerl, sehr sympathisch, der bei Frauen gut ankam – wurde zu «Nitin the Kitten» – das Kätzchen. Ein rothaariger Hüne wurde von Patrick und Bob ohne ersichtlichen Grund «Kakao» getauft. Vielleicht weil er mit Kakao-Kontrakten gehandelt hatte? Vielleicht auch nicht. Auf jeden Fall hasste er diesen Namen. Ein anderer baumlanger Associate wurde wegen seiner Vorne-kurz-hinten-lang-Frisur «Mullet» gerufen.
Ein paar Reihen weiter im Handelssaal saß ein Typ, den sie den «jüdischen John Kennedy» nannten (sie meinten JFK junior). Ich will ihn Bobby Schwartz nennen. Er war ein Jahr älter als ich, ein bisschen schusselig und neigte zu Handelsfehlern. Er verfügte aber über enormes theoretisches Wissen und war mit einem fotografischen Gedächtnis gesegnet. Bobby hatte eine absolut unbegreifliche Wirkung auf Frauen. Er musste sie überhaupt nicht ansprechen – sie drängten sich ihm förmlich auf. Ich wollte es nicht glauben, bis ich es schließlich selbst mit ansehen konnte.
Manche Spitznamen waren wenig schmeichelhaft, aber schlimmer dran war, wer von den Händlern der Merc keinen Spitznamen erhielt. Gewöhnlich waren es Junganalysten, denen Hannigan und Johnson rasch anmerkten, dass sie sich nicht durchsetzen würden. Leute, die wiederholt Fehler machten, die Millionen kosten konnten. Wandelnde Katastrophen. Wie ich rasch merken sollte, waren Derivate stark gehebelte Produkte. Wer nicht aufpasste, dem konnte leicht passieren, dass er kaufte, wenn er verkaufen sollte, oder den falschen Multiplikator einsetzte und verhängnisvolle Fehlurteile abgab. Analysten in ihrem ersten und zweiten Jahr machten ständig solche Fehler, oft aus reiner Gedankenlosigkeit. Bevor die Merc-Händler daher mit jemandem scherzten – oder ihn mit einem Spitznamen auszeichneten –, musste der Betreffende erst einmal unter Beweis stellen, dass er präzise arbeitete. Und Präzision war in diesem Fall überlebenswichtig.
Meine neue Ausbildung begann. (Gleichzeitig bereitete ich mich auf die «Series 3»-Prüfung vor – eine weitere aufsichtsbehördliche Anforderung, die ich für den Derivatehandel erfüllen musste.) Corey war mir mit seinen Ausführungen immer drei Schritte voraus, weil er davon ausging, dass ich den Trading-Jargon verstand. «Bitte setzen Sie nichts voraus», bat ich. «Fangen Sie ganz von vorn an.»
Und so saßen Corey und ich morgens um sieben, vor Beginn des Handelstages, oder abends um sechs, nach Handelsschluss, zusammen und redeten uns die Köpfe heiß. Oberste Priorität, so schärfte er mir ein, hatte die richtige Ausdrucksweise. Man durfte auf keinen Fall schwammig formulieren, nichts sagen, was nur zu achtzig Prozent stimmte. Man musste sich immer hundertprozentig korrekt äußern. Keine Zweideutigkeiten, keine Fehler, das war sein Mantra. Immer und immer wieder predigte er mir: «Das muss Ihnen in Fleisch und Blut übergehen!»
Anfangs lernte ich aus Coreys Telefongesprächen mit Kunden.
Das war übliche Praxis bei Neulingen. Jeder in der Abteilung hatte einen sogenannten «Gefechtsstand» – eine große, rechteckige Telefonanlage mit mehreren Tastenreihen und einem kleinen Display. Damit konnte man Gespräche mit Kunden und Börsen tätigen, entgegennehmen und nach Priorität ordnen. Bestimmte Tasten stellten Direktverbindungen zu wichtigen Kunden wie T. Rowe Price, Fidelity oder Wellington her. Hinter anderen
Weitere Kostenlose Bücher