Die Unersättlichen: Ein Goldman-Sachs-Banker rechnet ab (German Edition)
hervorrief, verfolge ihr Geschäft nicht aggressiv genug.
«Es ist naiv anzunehmen, dass wir ohne Konflikte operieren können. Konflikte sind vorprogrammiert in unserer Rolle als ernstzunehmender Vermittler – zwischen denen, die Kapital zur Verfügung stellen, und denen, die es nutzen, zwischen denen, die Risiko vermeiden wollen, und jenen, die bereit sind, es auf sich zu nehmen», schrieben Hank und Llyod.
Nicht lange danach vermittelte Goldman bei einer 9 Milliarden Dollar schweren Fusion zwischen einem Kunden – der damals im Privatbesitz befindlichen New York Stock Exchange – und einer viel kleineren, an der Börse gehandelten elektronischen Handelsplattform namens Archipelago. Aus der Perspektive eines Außenstehenden bestand das Problem bei dieser Fusion darin, dass Goldman als zweitgrößter Aktionär von Archipelago auf beiden Seiten an dieser Transaktion beteiligt war, die der Firma insgesamt rund 100 Millionen Dollar einbrachte. Außerdem war der damalige NYSE-Chef, John Thain, vorher bei Goldman President und Chief Operating Officer (COO) gewesen. Goldmans eigene Bewertung der Transaktion war, dass man die Stabilität der Märkte fördere, indem man Konflikte managte. Auf Fragen zu diesen Konflikten antwortete der damalige Goldman-Sprecher Lucas van Praag: «Das Leben ist voller Konflikte, einige sind real, andere eingebildet.»
Damals glaubte ich an diese Version. Als ich (und viele andere Leute bei Goldman) Lloyd Blankfeins sehr überzeugende Argumente lasen, warum man Konflikte begrüßen sollte, empfanden wir sogar einen gewissen Stolz: Die Firma betrat Neuland. Wir hatten neue und innovative Wege gefunden, das Richtige zu tun und den Kunden zu helfen. Lange Zeit sagte ich mir: Vertrau im Zweifelsfall der Firma .
Abgesehen davon war der Sommer 2006 eine aufregende Zeit für mich: Das Geschäft lief auf Hochtouren, die Märkte waren stark, und ich hatte Erfolg im Job. Ich liebte das Leben in New York. Und manchmal, wenn man glücklich ist, geschieht es, dass man ein Mädchen trifft. Im Frühjahr hatte jemand für Nadine und mich ein Blind Date arrangiert – in der Woche, bevor ich zur Junggesellenparty von Connors nach Las Vegas flog. Ich hatte es eilig, nach New York zurückzukommen, um sie wiederzusehen. Betrunken, wie ich war, hatte ich sogar am Blackjack-Tisch Bill-Jo von ihr erzählt. Sie war Ernährungswissenschaftlerin, intelligent und gutaussehend, und wir hatten eine ähnliche jüdische Erziehung genossen. Wir beide liebten Wein und Restaurants – besonders Sushi. Bei einem unserer ersten Treffen gingen wir zu Sushi of Gari in der Upper West Side, ins Cube 63 in der Lower East Side und ins Budokan (ein neues In-Lokal mit asiatischer Fusionsküche) im Meatpacking District.
Außerdem war ich von Goldman gebeten worden, in diesem Sommer das Praktikumsprogramm als Praktikumsmanager mitzuorganisieren. Auf diesen Punkt war ich besonders stolz. Offenbar sah die Firma mich als einen Kulturträger an – jemanden, der das verkörperte und vermittelte, wofür Goldman Sachs stand. Ich fühlte mich geehrt, die Firma auf diese Weise repräsentieren zu dürfen. Es machte mir Spaß, als Mentor für neue Analysten zu fungieren. Ich war zuständig für Bewerbungsgespräche in Stanford. Zweimal im Jahr flog ich mit einem Team von fünf oder sechs Leuten nach Palo Alto, redete im Rahmen der «Stanford Career Fair» und führte Gespräche mit den Jugendlichen, die Interesse an Goldman Sachs hatten.
Bei diesen Gesprächen achtete ich immer auf die gleichen Dinge. Mir war weniger wichtig, welches Wissen über die Finanzbranche oder welchen Notendurchschnitt jemand hatte. Was mich mehr interessierte, war das Urteilsvermögen der Leute und ihre Begeisterung für das Geschäft. An der Wall Street ist es ziemlich leicht, jemandem das theoretische Basiswissen der Finanzbranche beizubringen. Jemandem ein gutes Urteilsvermögen und einen wachen Blick beizubringen, ist dagegen fast unmöglich. Weiß jemand, wann er um Hilfe bitten muss? Kann er zugeben, wenn er beim Traden einen Fehler gemacht hat? Ist er bereit, mit vollem Einsatz zu arbeiten, auch wenn der Job intellektuell nicht immer anspruchsvoll ist, aber dennoch gemacht werden muss? Kann er mehrere Aufgaben gleichzeitig bewältigen? Hat er ein Interesse für Märkte und den Wunsch dazuzulernen?
Wenn ich nur fünf Minuten mit jemandem redete, bekam ich ein viel besseres Gespür für all diese Dinge, als wenn ich ihm knallharte Fragen über die
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