Die Unersättlichen: Ein Goldman-Sachs-Banker rechnet ab (German Edition)
die die Neuigkeit irgendwo gehört hatten. «Du hast es wirklich verdient», stand darin, «weiter so» und Ähnliches.
Das Jahr 2006, das jetzt dem Ende entgegenging, war für mich ein Jahr der Wunder gewesen. Aber zogen da nicht bedrohliche Wolken am Horizont auf? Dinge wie der Archipelago-Deal und der Eigenhandel gaben mir natürlich zu denken. Ganz zu schweigen von einigen der neuen strukturierten Produkte, die man immer häufiger zu sehen bekam – Derivate, die so komplex waren, dass nur die cleversten Analysten oder Strategen sie durchschauten – oder nicht einmal sie.
Vielleicht. Aber viele dieser Entwicklungen fanden auf der anderen Seite der sogenannten «Chinesischen Mauer» statt, in einem Bereich, von dessen Tätigkeiten ich juristisch gesehen nicht einmal Kenntnis haben durfte. Und in Bezug auf Compliance war Goldman Sachs die strengste und juristisch korrekteste aller Investmentbanken. Wir wurden beständig daran erinnert, wie vorsichtig wir sein sollten, wie sorgfältig wir die Dinge prüfen sollten, dass wir bei der geringsten Unsicherheit Rücksprache mit den Juristen halten sollten. Alle paar Wochen wurden wir in Bankrecht und Kapitalmarktrecht geschult. Ich war alles andere als allein mit meiner Überzeugung, dass wir doch offensichtlich alles richtig machten.
Das Jahr nahm ein seltsames Ende. Anfang Dezember fand die Weihnachtsfeier der Abteilung Securities statt, und zwar in einer riesigen Halle in der Nähe der Chelsea Piers. Es war eine unbeschreiblich pompöse Angelegenheit. Es müssen wohl dreitausend Leute dort gewesen sein. Außerdem gab es vielleicht noch einmal so viele Eis-Skulpturen. Der Raum war zum Bersten gefüllt mit Menschen, die Büffets waren von einigen der besten Restaurants der Stadt wie Blue Smoke oder Landmarc geliefert worden. Rockmusik dröhnte aus riesigen Lautsprechern und machte jede Unterhaltung unmöglich – eigentlich konnte man nichts weiter tun als essen, sich betrinken und mit großen Augen das unglaubliche Schauspiel anstarren, das sich einem bot.
Der Höhepunkt des Spektakels war zweifellos der Auftritt von Gary Cohn. Unser neuer President hatte in diesem Jahr vielleicht 50 Millionen Dollar verdient, und ganz offensichtlich war ihm der – natürlich beachtliche – Erfolg extrem zu Kopf gestiegen, denn er betrat die Halle umgeben von bulligen Kerlen mit Knöpfen im Ohr. Es war eine interne Party, und da kam der nette Gary Cohn – mindestens ebenso groß und muskulös wie seine Muskelmänner – umringt von Bodyguards. Vor wem sollten die ihn beschützen? Wenn ein kleiner Associate oder VP auf ihn zuging und Smalltalk machen wollte, würde man den Nichtswürdigen zu Boden werfen und mit dem Taser traktieren? Zum Glück kam es nicht dazu. Umringt von seiner Leibgarde, ging Gary von Buffet zu Buffet, lächelte und kostete von den Leckereien.
Ein paar Tage später war ich erneut in Lauras Büro. Es ging ums Gehalt.
Das war ein jährliches Ritual bei Goldman Sachs: Mitte Dezember wurde jeder einzelne Angestellte ins Büro seines Managers gerufen, wo ihm in einem Zehn-Minuten-Meeting die Höhe seiner Personal Annual Total Compensation (PATC), seine persönliche Jahresgesamtvergütung, mitgeteilt wurde. Der Betrag setzte sich zusammen aus Grundgehalt plus Bonus. Der Bonus als solcher wurde nie gesondert diskutiert. Diese Berechnung stellte man selbst an, im Kopf.
Trotzdem waren diese Gespräche als Bonus-Meetings bekannt, und der Tag hieß allgemein «Bonus Day», denn für jeden, der in der Hierarchie über den Analysten stand, war der Bonus die Hauptsache, der Löwenanteil des Einkommens. Viele Leute, die lange an der Wall Street arbeiten, gewöhnen sich daran, jedes Jahr Boni in bestimmter Höhe zu bekommen. In das Budget ihrer Familien zu Hause ist dieser Posten fest eingeplant – für Dinge wie Privatschulen, Sommerhäuser, Kinderfrauen, Urlaube. Wenn dann die Höhe des Betrags nicht den Erwartungen entspricht, kann das unangenehme Folgen haben. Der gewohnte Luxus will schließlich bezahlt werden. Die Angestellten fieberten das ganze Jahr diesem Meeting entgegen, und an dem Tag selbst kam jeder fünfzehn Minuten früher – um 6 : 30 Uhr statt um 6 : 45 Uhr.
Für jeden, der gerne Beobachtungen anstellt unter Menschen, war es ein interessanter Tag. In gewisser Weise waren die Bonus-Meetings den Entlassungen nicht unähnlich. Die Leute wurden in das Glasbüro eines Partners gerufen, und jeder draußen konnte genau sehen, was passierte. Der
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