Die Unersättlichen: Ein Goldman-Sachs-Banker rechnet ab (German Edition)
Lloyd (der fünf oder sechs Jahre älter ist als Gary) unter Hank Paulson die Nummer zwei bei Goldman wurde, ernannte er Gary zu einem der beiden Leiter der Abteilung Wertpapiere, mit besonderem Schwerpunkt auf Aktien. Viele hielten das für bedenklich. Gary war schließlich Rohstoffhändler. Doch Lloyd sagte: «Wisst ihr was? Wenn er mit Aluminium zurechtkommt, dann kann er auch mit Aktien zurechtkommen.» So etwas gab es oft bei Goldman Sachs: Man war überzeugt davon, dass gute Manager und begabte Trader flexibel genug waren, um mit ihren Fähigkeiten an jedem Ort, in jeder Position, mit jeder Anlageform erfolgreich sein zu können.
Ich begegnete Gary zum ersten Mal, als ich noch in der Abteilung Futures war, kurz nachdem Corey Stevens in Michael Daffeys Team gewechselt war und die Verschmelzung mit FICC stattgefunden hatte. Einer der Händler, die im Zuge der Zusammenlegung in den Aktienhandelssaal kamen, war früher auf dem Rohstoffparkett Gary Cohns Makler gewesen, und Gary – der immer noch neu war und niemanden im Equities-Bereich kannte – kam oft herüber, um mit ihm zu reden.
Gary hatte eine Angewohnheit, wenn er mit Leuten sprach, für die er in der Firma berüchtigt war. Ich habe es selbst ein Dutzend Mal erlebt. Es spielte dabei keine Rolle, ob sein Gesprächspartner männlich oder weiblich war: Er ging zu dem Händler oder der Händlerin hin, hob ein Bein, stellte seinen Fuß auf den Schreibtisch des Betreffenden, die Hüfte dicht vor dem Gesicht des Angestellten, und fragte ihn, wie die Märkte liefen.
Das urzeitliche Gebaren eines Alphamännchens (das in diesem Fall ein Fast-zwei-Meter-Mann war), könnte man meinen. Ich glaube aber, er hielt diese Haltung einfach für bequem. Und was aus seinem Mund kam, war auch nicht das, was man von einem Alphamännchen erwartet. Er war freundlich. Er war zurückhaltend. Er sagte: «Wie geht’s Ihnen? Wie läuft Ihr Tag?» Alles in ganz leisem Ton. Mir fiel auf, dass er, wenn er an einem der Tische haltmachte, fast nie übers Geschäft sprach. Stattdessen gab es Smalltalk, von der Art: «Haben Sie gestern das mit den Yankees gesehen?» In späteren Jahren, als ich Gary in der «Pine Street Leadership Development Group» – dem Programm für Führungsnachwuchs bei Goldman Sachs – über Führungsprinzipien reden hörte, betonte er immer, wie wichtig es sei, dass man im Handelssaal präsent war und die eigenen Leute wissen ließ, wer man war. Er sprach auch über Balance und innere Ausgeglichenheit: Die Leute müssten sicher sein, sagte er, dass man ein ausgeglichenes Temperament hatte und berechenbar war und nicht alle zwei Minuten ausflippte.
Und ich muss gestehen, genau so wirkte Gary auf mich – wie übrigens auch Lloyd: immer positiv gestimmt, niemals runterziehend oder einschüchternd. Beide waren (und sind) sehr geschickt im Umgang mit Menschen. Sie verstehen es, wie man Menschen für sich gewinnt, wie man sie nicht verängstigt, sondern sie motiviert, und auch, wie man den Druck erhöht, wenn es nötig ist. Das macht sie zu großen Führungspersönlichkeiten.
Nun, da Hank ins Finanzministerium gewechselt war, waren Lloyd und Gary die Zukunft.
Inzwischen hatte bei Goldman Sachs das Trading das klassische Banking abgelöst. Im Jahr 2006 erschien praktisch in jedem Wirtschaftsmagazin eine Titelgeschichte darüber, dass Goldman an der Spitze der Wall Street stand, dass GS zwei-oder dreimal so viel Umsätze machte wie jede andere Investmentbank. Der Economist titelte in seiner Ausgabe vom 27. April 2006 (ich habe mir das Exemplar aufgehoben), Goldman Sachs sei «on top of the world». Das Cover zeigte einen Bergsteiger, der an die Wolken zu stoßen schien. Es machte mich stolz, das zu sehen. Welch eine Veränderung seit den dunklen Zeiten des Jahres 2001, als die Leute sagten, bei GS sei der Lack ab und die größeren Banken – mit den größeren Bilanzen – würden uns lebendig auffressen.
Wie konnte Goldman Sachs diese erstaunlichen Profite erreichen? Nicht durch Investmentbanking, nicht durch die traditionellen Methoden, Kapital für Unternehmen aufzubringen, so konnte man in einigen dieser Artikel lesen, sondern indem man mit eigenem Geld eigene Positionen hielt – indem man für sich selbst handelte, daher auch Eigenhandel genannt. Diese Zeitschriften (und einige Investoren) waren der Meinung, dass Goldman Sachs dabei war, zu einem Hedgefonds zu werden, und dass als Teil dieser Entwicklung die Bank neuen Interessenkonflikten ausgesetzt
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