Die Unersättlichen: Ein Goldman-Sachs-Banker rechnet ab (German Edition)
war. Diese neue Richtung war in der Tat eine deutliche Abkehr von dem, wofür Goldman Sachs bekannt geworden war.
Von Goldmans ersten Tagen bis zum Börsengang 1999 – hundertdreißig Jahre lang – war man stolz darauf gewesen, als Ratgeber für die Kunden zu fungieren, die Funktion eines Treuhänders wahrzunehmen. Ein Treuhänder hatte seinem Mandanten gegenüber eine besondere Vertrauensstellung und Verpflichtung. In dieser Rolle beriet die Firma den Kunden, wie dieser sein Geld am besten anlegen sollte – anstatt ihn zu den Investments zu drängen, die die fettesten Gebühren einbrachten. Diese Rolle betraf auch das Investmentbanking, wenn die Firma einem Kunden sagte, ob er mit einem anderen Unternehmen fusionieren sollte. Dieses Ideal, das Richtige für den Kunden – und nicht nur das Richtige für die Firma – zu tun, war kein Mythos, sondern es war Programm. Es wurde in den frühen siebziger Jahren von dem damaligen Seniorpartner John Whitehead in seinen «Vierzehn Grundsätzen» extra festgehalten. Diese Geschäftsprinzipien waren uns eingebläut worden, als wir unser Sommerpraktikum in der Firma absolviert hatten, und ich glaubte an sie. Eine Zeitlang hatte ich eine Seite daraus neben meinem Schreibtisch aufgehängt. Ein paar meiner Favoriten:
1. Das Interesse unserer Kunden steht an erster Stelle.
Unsere Erfahrung zeigt: Wenn wir unsere Kunden gut betreuen, folgt unser eigener Erfolg automatisch.
5. Kreativität und Phantasie sind wichtig bei allem, was wir tun.
Wir wissen, dass die traditionellen Methoden in vielen Fällen auch heute noch die besten sind. Dennoch streben wir stets danach, eine bessere Lösung für die Probleme eines Kunden zu finden. Wir sind stolz darauf, dass viele der Praktiken und Techniken, die heute in der Branche Standard sind, von uns entwickelt wurden.
12. Wir bekommen im Rahmen unserer Kundengespräche stets vertrauliche Informationen.
Ein Vertrauensbruch oder der unangemessene oder sorglose Umgang mit vertraulichen Informationen sind für uns undenkbar.
14. Integrität und Ehrlichkeit sind der Kern unseres Geschäfts.
Wir erwarten von unseren Mitarbeitern, dass sie sich in allem, was sie tun, an hohen ethischen Normen orientieren, sei es in ihrer Arbeit für das Unternehmen oder in ihrem Privatleben.
Da stand es schwarz auf weiß: Kundeninteresse an erster Stelle – immer auf der Suche nach besseren Lösungen für den Kunden – kein Missbrauch von Informationen – höchste ethische Normen in allem, was wir tun. Wie in aller Welt passte Eigenhandel zu diesen Idealen?
Als die Machtbasis bei Goldman sich vom Investmentbanking zum Trading verschob, wurde der Kunde weniger als ein zu Beratender angesehen, sondern mehr als Kontrahent, der lediglich die Gegenseite in einer Transaktion darstellt. Dieser Wandel wurde verkörpert durch Lloyd Blankfeins Aufstieg in der Firma, der gleichzeitig mit einem dramatischen Anstieg der Profite aus dem Trading-Bereich im Vergleich zu den Einnahmen aus dem traditionellen Bankgeschäft erfolgte. Ein Geschäftspartner steht allein. Seine Ziele können mit denen der Investmentbank, die seine Transaktionen umsetzt – dem anderen Geschäftspartner – übereinstimmen, müssen es aber nicht. Ein Kunde, den man berät, ist dagegen eher wie ein Kind – man hat eine Verantwortung, seine Interessen zu wahren und ihn vor seinen eigenen niederen Instinkten zu schützen. Geschäftspartner sind Erwachsene, und im nackten Kapitalismus ist zwischen einvernehmlich handelnden mündigen Erwachsenen alles erlaubt.
Goldman trat auch noch in einer weiteren neuen und unscharf definierten Rolle auf: als Co-Investor. In den alten Zeiten riet die Firma einem Kunden lediglich, in etwas zu investieren. Jetzt konnte die Firma auch ihr eigenes Geld in dieselbe Sache investieren. Moralisch fragwürdig wurde diese Praxis des Eigenhandels in dem Moment, in dem die Firma ihre Meinung änderte (oder ihre wahren Absichten verbarg) und ihre Wette anders platzierte als der Kunde.
Anfang 2005, als Lloyd Blankfein noch Hank Paulsons Nummer zwei war, brachten die beiden in ihrem jährlichen Brief an die Aktionäre das Thema Interessenkonflikt in der schönen neuen Welt des Investmentbanking zur Sprache. Dieser Brief markierte einen Paradigmenwechsel in Goldmans Haltung gegenüber seinen Kunden. Konflikte zwischen Bank und Kunden seien unvermeidlich, so argumentierten sie, und mehr noch: Solche Konflikte sollte man begrüßen. Eine Firma, die keine Konflikte
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