Die Unersättlichen: Ein Goldman-Sachs-Banker rechnet ab (German Edition)
die ersten leisen Zweifel, als wir meine Eltern in Empfang nahmen, die gerade einen Zwanzig-Stunden-Flug von Johannesburg hinter sich hatten. Mein Vater hatte zwei riesige Koffer voller schwerer Lehrbücher dabei, um für seine Prüfung zu lernen. Sicher wäre es klüger, vom Flughafen aus ein Taxi zum Holiday Inn in Brooklyn zu nehmen, wo laut Vorgabe der Apothekenkette, die die Prüfung anbot, alle Teilnehmer abzusteigen hatten.
Meine Mutter, die sich immer Sorgen darüber machte, wie viel Geld ich für die Familie ausgab, wollte nichts davon hören. Nadine schlug sich auf ihre Seite. Also schleppten wir die Koffer in die U-Bahn und begaben uns in den Dschungel von Brooklyn – wo wir noch zweimal umsteigen und die Koffer jeweils treppauf, treppab tragen mussten. Es war Wahnsinn. Aber wir sparten an diesem Tag 120 Dollar.
Goldman ging nicht unter. Aber der Sturm tobte weiter. Wer überleben wollte, musste sich neu erfinden. Wenn man als Verkäufer das Glück hatte, noch ein paar Kunden zu besitzen, war eine Möglichkeit, den Turbo einzuschalten und einfach mehr Basisgeschäfte zu machen als alle anderen. Das war allerdings nicht so leicht, weil die Kunden nicht bereit waren, Risiken einzugehen. Sie waren erstarrt – saßen auf ihren Händen und warteten auf die nächste Hiobsbotschaft. Eine andere Methode bestand darin zu versuchen, die Kunden zum Kauf von strukturierten Derivaten (sogenannten «Blackboxes») zu überreden, die als eine Art Trostpflaster fungierten: «Schauen Sie, die Märkte sind wirklich in Panik, aber wenn Sie unser Produkt GoldDust2000 kaufen, dann werden Sie statt zehn Prozent nur zwei Prozent verlieren.» Da diese strukturierten Produkte von der Bank entwickelt wurden, die sie verkauften, und nur sehr begrenzt gehandelt wurden, war in ihnen der Aufschlag enthalten, den man von einem maßgeschneiderten Produkt erwartet. Solche undurchsichtigen Versprechen waren juristisch in Ordnung, weil irgendwo in den zwanzig Seiten des Kleingedruckten eine Zeile stand, die besagte: «Dies kann stimmen oder auch nicht – es kann sein, dass wir glauben, was wir Ihnen erzählen oder auch nicht – es kann sein, dass wir gegenteiliger Meinung sind oder auch nicht.»
Die ganzen nuller Jahre hindurch wurden an der Wall Street komplexe Derivate entwickelt, um europäischen Regierungen wie Griechenland und Italien zu helfen, ihre Schulden zu verstecken und ihren Haushalt gesünder aussehen zu lassen, als er wirklich war. Diese Deals generierten für die Banken Hunderte von Millionen Dollar an Gebühren, aber letzten Endes halfen sie diesen Ländern nur, ihre Probleme vor sich herzuschieben. Diese Weigerung, die Probleme anzugehen, gipfelte dann in der europäischen Schuldenkrise, mit der die Welt heute fertigwerden muss.
Doch die Tricksereien waren nicht auf Staaten beschränkt. Auch Städte und Gemeinden waren davon betroffen. Goldman verkaufte der Stadt Oakland, die sich vor steigenden Zinssätzen schützen wollte, ein Derivat, einen sogenannten Swap. Das Produkt ging letztendlich nach hinten los und kostet die Stadt nun jährlich Millionen Dollar. Im Jahr 2009 musste JPMorgan Chase nach der Überprüfung des Verkaufs von strukturierten Derivaten, die Jefferson County, den bevölkerungsreichsten Verwaltungsbezirk Alabamas, an den Rand des Bankrotts gebracht hatten, einem Vergleich zustimmen und der Börsenaufsichtsbehörde 700 Millionen Dollar zahlen.
In diesen strukturierten Derivaten-Produkten steckten gewaltige Potenziale für kurzfristige Gewinne – aber eben auch gewaltige Potenziale für kurzfristige Verluste. Doch wenn Kunden verängstigt sind, dann erzählt man ihnen nichts von möglichen Nachteilen. Diese sind versteckt im zehnseitigen Kleingedruckten am Ende des Vertrages. Die meisten Kunden lesen diese Verträge so aufmerksam wie unsereins, wenn wir den «Akzeptieren»-Button klicken, bevor wir bei iTunes einen Song herunterladen.
Solche strukturierten Derivate zu kaufen ist ein wenig so, als würde man in den Supermarkt gehen und eine Dose Thunfisch kaufen. Auf der Dose steht klar und deutlich «Bumble Bee Tuna», und vorne ist das hübsche Markenlogo zu sehen. Man nimmt die Dose mit nach Hause und kann dort in aller Regel den leckeren Thunfisch essen. Aber angenommen, man macht die Dose auf und findet darin Hundefutter. Wie kann das sein?, fragt man sich. Im Geschäft hat man mir gesagt, das sei Thunfisch. Doch dann schaut man auf die Rückseite der Dose. Dort steht in einer Schrift,
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