Die Unersättlichen: Ein Goldman-Sachs-Banker rechnet ab (German Edition)
die ich erwartet hatte.
Miller starrte nur vor sich und sagte, vom Brausen der U-Bahn umtost: «Ich habe fast den ganzen Tag mit meiner Frau am Telefon verbracht und unser Geld verteilt.» Ich wusste sofort, wovon er redete. Die Federal Deposit Insurance Corporation (FDIC) sichert Einlagen bis zu einer Höhe von 250 000 Dollar ab – dieser Mann hatte neue Bankkonten eröffnet und versucht, dafür zu sorgen, dass keine seiner Kapitalanlagen dem rauen Wind ausgesetzt war, der überall auf den Märkten heulte. 250 000 hier, 250 000 da – die Panikreaktion eines Bankers.
«Ich frage mich bloß, was passiert, wenn das ganze Schiff untergeht», sagte Doug. Er sprach wie betäubt, starrte immer noch wie in Trance vor sich hin. «All diese Menschen, die im Finanzsektor arbeiten und zwei Millionen im Jahr verdienen – was werden die machen? Was ist unser Wert für die Gesellschaft? Welche Fähigkeiten haben wir erworben?» Er schüttelte den Kopf. «Die Gesellschaft braucht uns nicht», sagte er. «Wir können von Glück reden, wenn wir einen Job für achtzig Riesen im Jahr finden. Ich werde meinen Kindern sagen, sie sollen Naturwissenschaften studieren.»
Es war surreal. Einerseits waren wir in einer vollen U-Bahn und mussten vorsichtig sein, was wir sagten. Ich bin sicher, Doug war sich genauso wie ich der Tatsache bewusst, dass die Leute um uns herum mit halbem Ohr zuhörten und dass die Worte «Goldman Sachs» nicht ausgesprochen werden durften. Andererseits sprach er die Art von unverblümter Wahrheit aus, die man an der Wall Street niemals zu hören bekommt. Es war, als wäre der globale Tag der Abrechnung gekommen, als stünde der Tod der ganzen Branche und der Wirtschaft unmittelbar bevor. Und auf eine seltsame Weise erinnerte mich unser Gespräch in der U-Bahn an eine dieser Filmszenen, wo zwei Leute in einem Flugzeug sitzen, das gleich abstürzen wird, und sie endlich sagen können – sagen müssen –, was sie wirklich denken.
2. Nicht lange danach setzten meine Freundin Nadine und ich uns eines Abends zusammen, «weil wir reden mussten». Wir waren nun seit zweieinhalb Jahren zusammen (von einer fünfmonatigen Auszeit im Jahr 2007 abgesehen), und es war in der Tat an der Zeit, darüber nachzudenken, wenn wir denn zusammenbleiben wollten, ob es für den Rest unseres Lebens sein sollte.
Nadine ist ein direkter Mensch, und sie kam auch sofort auf den Punkt. Der Hintergrund war vermutlich, dass sie von ihren Freundinnen den Rat bekommen hatte, man müsse, wenn man ernsthaft darüber nachdenkt, jemanden zu heiraten, klipp und klar auf den Tisch legen, welche Pläne und Ziele man habe, aber auch wie die finanzielle Situation ausah. Wie gesagt, sie kam schnell auf den Punkt.
«Wie sollen unsere Kinder aufwachsen?», fragte sie.
Auf so eine Frage war ich nun wirklich nicht vorbereitet, alles, was mir im Kopf herumging, hing mit dem Chaos zusammen, das ich an diesem Tag auf den Märkten gesehen hatte.
«Ich weiß nicht», sagte ich. «Ich, äh …»
«Findest du, dass die Kinder auf eine Privatschule gehen sollten?», fragte Nadine.
«Müssen wir darüber jetzt reden, Nadine?»
«Stellst du dir vor, dass ich arbeite, wenn wir verheiratet sind?», fragte sie mich.
Das Kreuzverhör ging mir auf die Nerven. Ich wusste nur zu gut, dass es ihr ein Dorn im Auge war, dass ich meine Familie finanziell unterstützte, dass ich das Studium meiner Schwester in Amerika bezahlte und meinen Eltern Geld nach Hause schickte. Ich glaube, sie stellte sich die – natürlich berechtigte – Frage, ob sich das ändern würde, wenn – beziehungsweise falls – wir verheiratet waren. Würde dann mein erstes Interesse sein, meine eigene Familie zu unterstützen? Offensichtlich wollte sie sichergehen, dass das der Fall sein würde. Meine Standardantwort auf solche Fragen war: «So Gott will, werde ich genug Geld verdienen, dass sich diese Frage gar nicht stellt. Ich werde in der Lage sein, beides zu tun.» Doch Nadine bestand darauf, dass sie nicht mehr arbeiten wollte, wenn sie Kinder hatte.
Das Paradoxe war, dass ich im Grunde genommen völlig ihrer Meinung war. Ich war immer der Überzeugung, dass die Mutter meiner Kinder – wer immer das auch sein würde – zumindest anfangs ausschließlich daran arbeiten sollte, die Kinder großzuziehen. Für mich war das etwas ganz Besonderes, und ich hoffte, dass ich das meiner zukünftigen Frau und unserer zukünftigen Familie würde ermöglichen können. Aber Nadine wollte eine
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