Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Unersättlichen: Ein Goldman-Sachs-Banker rechnet ab (German Edition)

Die Unersättlichen: Ein Goldman-Sachs-Banker rechnet ab (German Edition)

Titel: Die Unersättlichen: Ein Goldman-Sachs-Banker rechnet ab (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Smith
Vom Netzwerk:
Allerdings gibt es auch so etwas wie einen Mittelweg.
    Doch Bobby war nicht interessiert an einem Mittelweg. Nichts zwang ihn dazu. Im Gegenteil: Die Kunden mussten aus ihren Positionen aussteigen, ihnen blieb keine Wahl, und es musste schnell gehen. Es war fast wie ein Ausverkauf. Und die Firma belohnte Bobby dafür, dass er diese Geschäfte machte. Ende 2008, in einem Jahr, als nur sehr wenige Leute befördert wurden, einem Jahr mit der kleinsten Zahl von MD-Ernennungen seit langer Zeit, stand Bobbys Name mit auf dieser Liste.
    Ich neidete ihm seinen Erfolg nicht, er tat wirklich nur seinen Job. Aber ich dachte: So sehen also die neuen Kulturträger von Goldman Sachs aus. Die alte Unternehmenskultur und Moral schien der Vergangenheit anzugehören. Um den großen Philosophen Puff Daddy zu zitieren: «It’s all about the Benjamins» – es ging nur noch um die Hunderter. Wenn man zur richtigen Zeit am richtigen Ort war, wenn man der Trader mit der «heißen Ware» (Credit Default Swaps zum Beispiel) oder der Verkäufer war, dessen Kunden verzweifelt zum Notausgang rannten, und wenn man den richtigen Instinkt hatte und wusste, wie daraus Kapital zu schlagen war: zack! – wurde man von der Firma beförderte und belohnt und war plötzlich eine Führungskraft.
    Bobbys Bonus in diesem Dezember ließ ihn einen innerlichen Riesenluftsprung machen. Vor vier Jahren war es gewesen, 2004, als unser Derivate-Team beim Teambildungstreffen in den Hamptons war – Bobby und Daffey hatten sich den Football gegenseitig zugeworfen, und Daffey hatte gewitzelt: «Mann, Sie werfen wie ein Mädchen. Das kostet Sie zehn Riesen dieses Jahr.» Der Hintergrund war, dass Daffey, weil er für jeden Mitarbeiter die Bonushöhe festlegte, ohne weiteres jemandem am Ende des Jahres 10 000 hätte abziehen können. Jetzt, vier Jahre später, waren zehntausend für Bobby nicht mehr als ein Rundungsfehler. Er spielte jetzt in der ersten Liga. Mit einem Teil seines Bonus für 2008 kaufte er sich ein Apartment in der Park Avenue. Es war der Höhepunkt der Finanzkrise, aber er redete gern und oft über dieses Apartment.
     
    Ich war in diesem Herbst genauso ängstlich wie alle anderen. Meine Strategie war, mich in meinem Arbeitsfeld zumindest teilweise neu zu orientieren. Wenn es eine Flaute beim Handeln gab – und es gab viele Flauten beim Handeln –, versuchte ich mich an Marktanalysen.
    Meine Idee war, einfach meine Gedanken über die Märkte zu notieren – wie sie meiner Meinung nach auf bestimmte Nachrichten reagieren würden, welche Muster ich sah, ob sich Anzeichen einer Erholung zeigten – und meine knappen Ausführungen als interne E-Mails zu verschicken. Mein Urteil sollte völlig unbeeinflusst von dem sein, was Goldman sagte. Ich wollte exakt das aufschreiben, was ich dachte, ohne Angst vor Konsequenzen. Das Schlimmste, was passieren konnte, war, dass die Leute nicht meiner Meinung waren.
    Meine Vorbilder waren zwei Managing Directors der Abteilung Derivatives Sales, die schon seit Jahren ähnliche Berichte schrieben. Ich bewunderte die objektive Art, mit der sie ihre Inhalte präsentierten. Immer fügten sie einige Diagramme an, um ihre Konzepte zu illustrieren. Sie zitierten öffentliche Quellen, anstatt sich nur auf unsere internen Informationen zu beziehen. Und sie formulierten ihre Texte mit einem Schuss Ironie, sodass ein trockenes Thema wie Derivate gleich viel interessanter klang.
    Im Oktober und November versuchte ich mich an den ersten Artikeln. Ich brauchte jeweils drei oder vier Tage für das Schreiben, teilweise in den erwähnten Flauten, doch den größten Teil schrieb ich abends nach der Arbeit. Nachdem ich sie ausformuliert und gestrafft hatte, ging ich in unsere Compliance-Abteilung, um sie freigeben zu lassen. Obwohl die Artikel ursprünglich nur für die Augen von Goldman-Mitarbeitern gedacht waren, konnte ich nicht wissen, an welche Kunden man sie vielleicht weitergeben würde. Natürlich durften die Namen vertraulicher Kunden nicht genannt oder spezifische Transaktionen offengelegt werden, deshalb achtete ich darauf, nur frei zugängliche Informationen zu benutzen und immer aus der Sicht eines äußeren Beobachters zu formulieren.
    Dann zeigte ich die Artikel meinen beiden MD-Mentoren und bat sie um Rat und konstruktive Kritik. Ich fragte: «Was halten Sie von meiner Argumentation in diesem Punkt? Gibt es eine Möglichkeit, sie noch mehr zu stützen?» Oder: «Können Sie mir helfen, das ein bisschen aufzupeppen?» Ich

Weitere Kostenlose Bücher