Die Unersättlichen: Ein Goldman-Sachs-Banker rechnet ab (German Edition)
Zeit, als es wichtig war, die Schießpulvervorräte vor Feuchtigkeit zu schützen.) Hunderte von Dollarmilliarden saßen gewissermaßen auf der Reservebank.
Mein Artikel basierte auf der These, dass gegenwärtig zwar noch jeder verkaufte, dass aber irgendwann der Liquiditätsüberschuss so groß werden würde, dass er in den Markt zurückschwappen musste – egal wie gut oder wie schlecht es in diesem Moment um die Welt bestellt sein mochte –, was einen signifikanten Effekt auslösen würde. Also formulierte ich einen Beobachtungsrahmen, um zu zeigen, wie sich verfolgen ließ, wann das «trockene Pulver» tatsächlich anfing, Wirkung zu zeigen, und was das über die Marktentwicklung aussagte.
Bei Goldman reagierte man geradezu elektrisiert. Als ich den Artikel an diesem Tag in unserer internen Morgenbesprechung in einem der neben dem Handelssaal gelegenen Konferenzräume vorstellte (alle Partner und Managing Directors waren anwesend), stimmte mir einer der angesehensten Verkäufer im ganzen Handelssaal sofort zu. «Jungs, dieser Artikel wird heute Pflichtlektüre sein», sagte er. «Jeder an der Wall Street wird darüber reden. Ich habe ihn schon an meine drei größten Kunden geschickt, und sie sind begeistert. Ich will, dass jeder von euch den Artikel an all seine Kunden schickt.»
Und das taten sie: Der Artikel wurde an Hunderte, wenn nicht gar Tausende, von Kunden verschickt. Im Laufe der nächsten Tage kamen immer wieder Partner an meinem Schreibtisch vorbei und klopften mir auf den Rücken. «Tolle Sache», sagten sie. «Davon brauchen wir mehr.» Alle waren sich einig: Rundschreiben dieser Art waren ein Weg, im Kontakt mit den Kunden zu bleiben und ihnen zu zeigen, dass wir uns um sie kümmerten.
Aber ich glaube, es gab noch einen weiteren Grund dafür, dass der Artikel solchen Anklang fand: Die Leute hatten Angst und suchten nach einem Hoffnungsschimmer, und mit ruhigen und vernünftigen Worten hatte ich ihnen ein wenig Hoffnung gemacht.
Ich mailte dem Verkäufer, der mir vor versammelter Mannschaft dieses überraschende Lob gespendet hatte: «Danke, Mann! Ihr Lob bedeutet mir viel.»
«Das war absolut verdient», schrieb er zurück. «In der neuen Welt, in der wir leben, wird Content der Weg sein, auf dem wir uns von der Konkurrenz abgrenzen. Bleiben Sie dran!»
Kapitel 8
Die vier Kunden
Pessach, 2009. Goldman Sachs hatte die Wüste der Finanzkrise durchschritten. Doch auf diesem Weg hatte das Unternehmen sich verändert. Zunächst einmal ganz konkret in organisatorischer Hinsicht: Aus einer Investmentbank war eine Bankenholding geworden. Doch es hatte sich auch die Einstellung der Menschen gewandelt, und dies schlug sich nirgendwo deutlicher nieder als im Bereich Kundenbetreuung.
Jedes jüdische Kind, das in der Hebräisch-Schule (der jüdischen Entsprechung der Sonntagsschule) auch nur halbwegs aufgepasst hat, weiß zumindest ein paar Dinge über den Pessach-Seder (eine Art jüdisches Thanksgiving-Essen, bei dem wir aus einem Buch namens Haggada die Geschichte der Befreiung der Israeliten aus der ägyptischen Gefangenschaft vorlesen). Dazu gehören die Matze (ungesäuertes Brot), das Bitterkraut zur Erinnerung an die schweren Zeiten, die vier Becher Wein und eine köstliche Suppe mit Matzeknödeln. Ich feiere den Sederabend jedes Jahr im Haus meiner Cousinen und Cousins, mit fünfundzwanzig durcheinanderplappernden Erwachsenen und zwanzig schreienden Kindern. Was den Text angeht, der dabei vorgelesen wird, gefällt mir jene Passage am besten, der die Reaktion der vier Söhne auf Pessach beschreibt: Einer von ihnen ist klug, einer ist böse, einer ist einfältig, und einer versteht nicht zu fragen.
Die vier Söhne stellen vier Charaktere dar, und ich habe immer gefunden, dass es auch an Wall Street vier Arten von Kunden gab: den Klugen Kunden, den Bösen Kunden, den Einfältigen Kunden und den Kunden-der-nicht-zu-fragen-versteht. Ich hatte alle vier Arten im Lauf der Jahre erlebt, doch nach dem Zusammenbruch des Marktes konnte ich nun erfahren, welche neuen Rollen man ihnen zugedacht hatte.
Die Klugen Kunden sind die großen Hedgefonds und Institutionen. Sie haben Zugang zu allen Ressourcen, die ihre Banken ihnen anbieten können. Dazu gehören: Recherche, Kommunikation mit den Management-Teams der Unternehmen, in die sie investieren oder die sie shorten wollen; Vorkaufsrecht auf Angebote, bevor sie auf den Markt kommen, wie zum Beispiel Börsengänge und Kapitalerhöhungen; und ihre eigenen
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