Die Unersättlichen: Ein Goldman-Sachs-Banker rechnet ab (German Edition)
wieder beruhigen – wenn nicht sofort, so doch irgendwann in naher Zukunft. Eine Periode von zehn Jahren ununterbrochener Turbulenzen hatte es seit der Weltwirtschaftskrise der dreißiger Jahre nicht mehr gegeben. Und inzwischen hatte die Regierung mit ihrem Konjunkturprogramm ihre Entschlossenheit demonstriert, das System aktiv zu stützen. Niemand glaubte, dass die Fehler des allzu passiven Präsidenten Herbert Hoover wiederholt werden würden.
Also fingen Goldman Sachs und andere Wall-Street-Banken (plus einige Kluge Kunden) an, eine «bullische» Wette darauf abzuschließen, dass die Märkte wieder anfangen würden zu steigen, und dass die Volatilität anfangen würde zu fallen. Viele Investoren realisierten diesen Trade durch das Shorten eines Derivats mit dem Namen «10-Year S&P 500 Variance Swap» – ein undurchsichtiges Over the counter -Produkt mit sehr niedriger Liquidität. Bekanntermaßen hatte ein anderer cleverer Investor eine sehr ähnliche Idee. «Das Orakel» Warren Buffett, der Derivate zuvor noch als «finanzielle Massenvernichtungswaffen» bezeichnet hatte, war diese Verschiebung ebenfalls aufgefallen, und er hatte eine ähnliche Wette platziert (wenn auch mit einer etwas anderen Strategie).
Dieser Trade brachte den Banken und Kunden rund um die Wall Street mehrere Millionen Dollar ein von Mitte 2009 bis 2010, als die Märkte sich erholten und die Volatilität sank. In vielerlei Hinsicht war es ein brillanter Schachzug, darauf zu setzen, dass die Märkte sich beruhigen würden. Gewagt war es aber dennoch. Nach der Insolvenz von Bear Stearns Anfang 2008 hatten viele Leute geglaubt, dass der Sturz dieses Unternehmens nur eine Anomalie sei und dass das nun Schlimmste überstanden war. Eine ganze Reihe von Hedgefonds ging in dieser Zeit pleite, weil sie den Zeitpunkt einer Rückkehr in ruhigere Gewässer völlig falsch einschätzten. Die richtige Investitionsidee ist nur die halbe Miete – mindestens ebenso wichtig ist es zu wissen, wann man sie umsetzen kann. Und das Schöne an der Sache war: Je mehr «kluges Geld» Goldman hinter seiner Short-Position in Stellung bringen konnte, desto mehr würde langfristige Volatilität fallen.
Dieser Schuss ging jedoch im Sommer 2010 ordentlich nach hinten los. Es kam zu einem «Short Squeeze», der sich gewaschen hatte (einer Marktsituation, in der der Kurs nach oben getrieben wurde, weil sich immer mehr Leerverkäufer eindecken mussten). Eine Menge Leute bekam Wind von diesen Positionen, und sie fingen alle an zu kaufen. In Goldmans Telefonkonferenz zu den Ergebnissen fürs zweite Quartal am 20. Juli 2010 räumte CFO David Viniar ein: «Um die Bedürfnisse unserer entsprechenden Kunden und die des breiteren Marktes zu erfüllen, starteten wir mit einer Short-Position ins Quartal, mit der wir gegen Aktienvolatilität spekulierten. Angesichts der kräftigen Schwankungen, die im Quartal auftraten, erzielten Aktienderivate für diesen Zeitraum enttäuschende Ergebnisse.»
Die eigentliche Frage ist aber: Erfolgte dieses Engagement wirklich in erster Linie im Dienst der Kunden, wie Viniar behauptet? Oder stand dahinter die Absicht von Goldman Sachs und anderen Wall-Street-Banken, in Eigenregie Wetten abzuschließen? Mir erscheint Letzteres plausibler.
Ausgerechnet in dieser Zeit, als ich mir zunehmend diese Art von Fragen stellte (waren die Kunden für GS wirklich noch Kunden oder nur noch die Kontrahenten ihrer eigenen Transaktionen?), nahm ich an einem der hausinternen Pine-Street-Seminare teil. Das Pine-Street-Programm orientierte sich an Jack Welchs richtungweisendem Crotonville Management Development Center bei General Electric und war seinerzeit von Hank Paulson ins Leben gerufen worden, um sicherzustellen, dass die Führungsgrundsätze von Goldman Sachs nach dem Börsengang nicht verwässert wurden. Anfangs war die Seminarreihe ausschließlich für Managing Directors vorgesehen, aber VPs und vereinzelt sogar Kunden durften ebenfalls teilnehmen. Ich ging zusammen mit dem Präsidenten meines wichtigsten Kunden hin.
Dort sprach unter anderem Bill George, der ehemalige CEO von Medtronic, jetzt Professor an der Harvard Business School, außerdem Mitglied im Verwaltungsrat von Goldman Sachs und Autor des Buches Authentic Leadership . Ein anderer Wissenschaftler, an dessen Namen ich mich nicht erinnern kann, diskutierte mit uns über das vor vierzig Jahren in Stanford begonnene sogenannte «Marshmallow-Experiment», bei dem Kinder mit einem Marshmallow in
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