Die Unersättlichen: Ein Goldman-Sachs-Banker rechnet ab (German Edition)
treuhänderische Verantwortung und wiesen sie darauf hin, wenn sie etwas falsch machte oder schlechte Entscheidungen traf. Doch traurigerweise ist die Queen der Typ Kunde, den viele Leute an der Wall Street ausnutzen würden.
Der vierte Typ, der Kunde-der-nicht-zu-fragen-versteht, ist der bemitleidenswerteste der vier, denn er ist nicht nur einfältig, sondern auch vertrauensselig, und oft sind dies die Investmentmanager, die für die Renten von Polizisten, Feuerwehrleuten oder Lehrern verantwortlich sind oder die das Portfolio einer gemeinnützigen Organisation verwalten. In der schönen neuen Wall-Street-Welt, die in dieser Zeit der Marktturbulenzen Formen anzunehmen begann, waren sie das perfekte Opfer, diejenigen, die man am leichtesten zu «Elefanten-Geschäften» überreden konnte.
Man stelle sich etwa einen Kunden vor, der irgendwo in Oregon lebt und der Milliarden von Dollar in staatlichen Pensionsfonds verwaltet. In seiner Welt ist er eine große Nummer, und er hält sich selbst für einen mit allen Wassern gewaschenen Investor, aber er hatte nie in einem Geldinstitut an der Wall Street gearbeitet. Ihm steht nicht die nötige Infrastruktur zur Verfügung, um herauszufinden, was genau er eigentlich kauft, und jetzt, nach dem Crash von 2008, steht er unter Druck und muss verlorene Renditen kompensieren. Unser Mann ist das perfekte Zielobjekt für den Verkauf eines Typs von Derivaten, die man als «exotisch» bezeichnet – hochkomplizierte Produkte, die für den Kunden so aufbereitet und aufgehübscht werden, dass sie wesentlich einfacher aussehen. Dabei heißen sie nicht ohne Grund «exotisch», denn das Produkt ist so kompliziert, dass die Kunden nicht einmal verstehen, wie viel sie an die Bank eigentlich zahlen. Um exotische Derivate nachzubilden, sind komplexe Finanzmodelle erforderlich, und für die Bepreisung sind oft die gewieftesten Quants zuständig.
Doch gerade hier kommt der noch nicht ganz verblasste Ruf von Goldman Sachs ins Spiel. Denn der Kunde-der-nicht-zu-fragen-versteht denkt sich: Ich habe es mit den cleversten Burschen der Wall Street zu tun, warum also soll ich dumme Fragen stellen? Und Männer wie Lloyd Blankfein, Gary Cohn und Finanzchef David Viniar waren tatsächlich die cleversten Burschen der Wall Street. Sie verstanden und verstehen die Derivate wirklich – ihre theoretischen Grundlagen ebenso wie die Risiken, die sie bergen. Bear Stearns, Merrill Lynch und Lehman Brothers dagegen bekamen jede Menge Probleme, weil sie nicht begriffen hatten, welche Risiken sie in ihren Büchern hatten.
Was der Kunde-der-nicht-zu-fragen-versteht übersieht, ist die Tatsache, dass das treuhänderische Verantwortungsgefühl bei Goldman nach und nach ausgehöhlt wurde. Und jedes Jahr taucht der eine oder andere dieser Kunden in der Liste von Goldmans Top-25-Kunden auf. Es hat etwas Beunruhigendes, weltweit operierende Wohlfahrtsverbände oder Lehrerpensionskassen auf dieser Liste zu sehen – denn die Rangfolge der Top-Kunden wird nicht nach der Größe der Portfolios oder der Höhe der Anlagenrendite erstellt, sondern nach der Summe der generierten Gebühren .
Als ich nach dem Pessachfest zur Arbeit zurückkehrte, schien sich die düstere Stimmung, die über dem Handelssaal gehangen hatte, langsam aufzuhellen. Im März – vor dem Feiertag – hatte der Markt neue Tiefpunkte erreicht, und Bankaktien, unsere eigene eingeschlossen, bezogen an den Börsen immer noch Prügel. Trotz der Kapitalspritzen für die Banken und einem 800-Milliarden-Dollar-Konjunkturprogramm der Regierung blieb die große Angst, wie viele toxische Vermögenswerte noch offengelegt werden würden. Doch Goldman steuerte durch die Krise, dank eines brillanten Risikomanagements. Der Derivatehandel verdient am meisten Geld bei Märkten mit hoher Volatilität, und 2008 und Anfang 2009 machten Goldmans Derivate-Abteilungen ein Vermögen.
Bevor Mitte 2009 deutlich wurde, dass die Märkte sich erholen würden, bemerkten einige der cleversten Händler bei Goldman Sachs eine Anomalie im Markt für Derivate. Die Preise von Derivaten implizierten, dass die derzeitige Volatilität, die sich auf einem historisch einmaligen Höchststand befand, die nächsten zehn Jahre lang unverändert auf dem gleichen hohen Niveau bleiben würde, wie wir sie in den neun Monaten seit der Insolvenz von Lehman Brothers gesehen hatten. Konnte diese Art von Aufruhr und Unberechenbarkeit zehn Jahre lang ohne Pause so weitergehen? Sicher würde die Lage sich
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