Die Unersättlichen: Ein Goldman-Sachs-Banker rechnet ab (German Edition)
einem Raum allein gelassen wurden. Die einen aßen es sofort auf. Andere warteten und aßen es dann. Noch andere schließlich warteten, bis der Versuchsleiter wieder in den Raum kam. Die Versuchspersonen wurden über die nächsten vierzig Jahre beobachtet, und diejenigen, die den Genuss am längsten hinausgeschoben hatten, wurden als Erwachsene deutlich häufiger zu Führungspersönlichkeiten als die kleinen Gierhälse.
Die erwähnte dritte Gruppe war «gierig mit Weitsicht» – wie es Goldmans langjähriger Chef Sidney Weinberg einst gefordert hatte. Das heutige Bild im Handelssaal wurde jedoch geprägt von den Gierhälsen mit ihrer Sucht nach sofortiger Gratifikation.
Zur gleichen Zeit erlebte ich auch in meinem Privatleben eine gewisse Volatilität. Am 15. März 2009 erreichte der Aktienmarkt seinen tiefsten Stand während der Krise. Zufälligerweise war das auch der Tag, an dem meine drei Jahre währende Beziehung mit Nadine ihren tiefsten Punkt erreichte. Wir trennten uns. Ich hatte es seit einiger Zeit kommen sehen, und tief in meinem Inneren wusste ich, dass wir wohl nicht auf lange Sicht füreinander bestimmt waren. Wir hatten Spaß zusammen, lachten miteinander und fühlten uns wohl in der Gegenwart des anderen. Wir hatten den gleichen jüdischen Hintergrund, und eigentlich hätte alles in bester Ordnung sein müssen. Aber das war es nicht. Wir waren einfach in zu vielen wichtigen Fragen nicht einer Meinung und konnten uns nie auf einen Kompromiss verständigen.
Das heißt nicht, dass wir nicht viel geredet hätten. Während die Finanzkrise sich verschlimmerte, verschlimmerten sich auch unsere jeweiligen Zukunftssorgen. Ich machte mir Sorgen um meine Karriere, meinen Lebensunterhalt und ebenso sehr darüber, wie unsere Beziehung weitergehen sollte. Nadine fragte sich, ob ich ein guter Ehemann sein würde oder nicht. Sie war dreißig und hatte das Gefühl, das es für sie Zeit war, Nägel mit Köpfen zu machen. Mit zunehmender Häufigkeit fragte sie mich in diesen Tagen, ob ich nicht ebenso dächte.
Der egoistische Teil meiner Persönlichkeit – der Teil, der sich wünschte, jemanden zum Festhalten zu haben, während die Welt auseinanderfiel – hätte gern so weitergemacht wie bisher. Doch sie hörte nicht auf zu fragen – völlig zu Recht –, wohin unsere Beziehung führte. Schließlich musste ich ihr sagen, dass ich mir nicht vorstellen konnte, dass wir heiraten würden, und damit war es zu Ende. Es ist sonderbar, dass etwas so gut sein und so viel Spaß machen kann, und es ist dennoch nicht das Richtige für einen. Wenn man es erkennt, dann muss man wohl loslassen.
Es war das denkbar schlechteste Timing – zumindest kam es mir damals so vor. In beruflicher und privater Hinsicht war mein Leben in Aufruhr. Ich hatte ein paar Kilo zu viel zugenommen. Ich war ein Jahr lang nicht mehr im Fitnessstudio gewesen. Was mir in den folgenden Wochen und Monaten wirklich half, war ein konsequentes Gesundheitsprogramm. Ich trainerte jeden Tag (Laufen – ich bin nicht der Zumba-Typ). Alkohol war in den ersten Wochen gestrichen, auch wurde der Küchenplan umgestellt (ich hatte mich nur noch von Bami-Goreng und Schawarma ernährt, während ich im Handelssaal an meinem Schreibtisch klebte und auf den Monitor starrte). Ein älter Kollege im Sales hatte schon vor Jahren uns jungen Kerlen den Tipp gegeben: Eat light, feel right. Den beherzigte ich jetzt, und allmählich kam das richtige Feeling zurück.
David Viniar, Chief Financial Officer (CFO) von Goldman Sachs, ist eine wirklich beeindruckende Erscheinung. Wenn Goldman alle drei Monate seine Zahlen bekannt gibt, ist er das öffentliche Gesicht der Firma. Viniar ist hochgewachsen und schlank. Er stammt aus der Bronx, hat am Union College und an der Harvard Business School studiert, und er ist seit mittlerweile zweiunddreißig Jahren bei Goldman Sachs. Er veranstaltet regelmäßig Telefonkonferenzen, in denen er sich den Fragen von Wirtschaftsjournalisten und Finanzanalysten stellt. Dort muss er jede Frage beantworten können – das heißt, er muss alle Zahlen im Kopf haben, aber er muss immer auch auf der Hut sein, in kein Fettnäpfchen zu treten, sich nicht selbst zu belasten und nichts Dummes zu sagen.
Das ist eine Situation, die, wie man sich leicht vorstellen kann, auch schnell zum Desaster führen kann – wenn man nicht Viniar heißt. Ich denke etwa an Erin Callan, die charismatische, elegante und attraktive Finanzchefin von Lehman Brothers. Ihre
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