Die Unersättlichen: Ein Goldman-Sachs-Banker rechnet ab (German Edition)
spektakulär, der Blick von den Laufbändern und Hantelräumen über die Flüsse und den Hafen von New York war atemberaubend. Der Raum war so toll, dass die Leute, sobald wir eingezogen waren, so früh wie möglich am Tag dorthin gingen, oft direkt nachdem die Märkte geschlossen hatten. Die jüngeren Angestellten kamen mit so etwas allerdings nicht durch (versuchten es aber trotzdem), aber für VPs, MDs und Partner war der Spätnachmittag die Zeit körperlicher Betätigung. Paul Conti, Mr. Fruchtsaft, war fast jeden Tag zwischen 16 und 17 Uhr dort.
Dazu gibt es eine Anekdote. Eines Tages bekam das gesamte Derivate-Team eine E-Mail (und offenbar bekam der ganze dritte Stock eine ähnliche Mitteilung) mit dem Inhalt: «Die Nutzung des Fitnessraums mit einem 4-Handle ist untersagt.» Das muss man übersetzen. Leute aus der Finanzbranche lassen oft ihre Fachbegriffe in ihren Alltagssprachgebrauch einfließen. «Handle» ist ein Ausdruck dafür, in welchem Bereich ein bestimmter Index oder Anlagetyp gehandelt wird. Wenn zum Beispiel Google-Aktien bei 634 stehen, könnte jemand sagen: «GOOG wird mit einem 6-Handle getradet.» Also bedeutete diese E-Mail, dass niemand zwischen 16 und 17 Uhr im Fitnessraum sein sollte.
Auf unserer Etage war man davon überzeugt, dass Mr. Fruchtsaft der Grund für dieses Verbot war.
Wie man hörte, war Harvey Schwartz, der Chef von Paul Conti, immer zwischen 16 und 17 Uhr im Fitnessraum, und er hatte es satt, dort jeden Tag zur gleichen Zeit auf Conti zu stoßen. Also wurde dieser Zeitraum kurzerhand für alle gesperrt. Manchmal geht es an der Wall Street eben zu wie an der High School.
Meine Vergütung für das Jahr 2009 belief sich einschließlich Bonus auf mehr als 500 000 Dollar. Es war ein hartes Jahr gewesen, und ich war glücklich und stolz, dass ich mein Geld auf diese Weise verdient hatte.
Eine halbe Million ist viel Geld. Aber es doch nichts im Vergleich zu dem, was die Partner bekamen. Von den 16 Milliarden Dollar, die Goldman Sachs 2009 an Vergütungen auszahlte (fast fünfzig Prozent mehr als im Vorjahr) ging der Großteil an die ein Prozent Mitarbeiter an der Spitze der Pyramide: die Partner. Das Tolle daran, Partner zu sein, ist, dass man allein durch seinen Status einen garantierten Mindestbetrag bekommt, egal was man tut, in der Regel mehrere Millionen Dollar. Es besteht natürlich das Risiko, dass man, wenn die Chefs irgendwann dahinterkommen, dass man gar nichts tut, entlassen wird. Doch bevor sie das herausfinden, kann man ein oder zwei Jahre lang ein ziemlich entspanntes Leben führen.
Die Zeit um meinen dreißigsten Geburtstag im Dezember 2008 war sehr bewegt und nervenaufreibend gewesen. Nadine und ich hatten eine große gemeinsame Party bei Freemans gegeben – ihr Dreißigster war zwei Wochen nach meinem. Die Bar befand sich am Ende einer Seitengasse in der Lower East Side und war von der Ausstattung her einer Flüsterkneipe der Prohibitionszeit nachempfunden. Wir hatten einen Raum im zweiten Stock gemietet und etwa dreißig Freunde eingeladen.
Nach dem Essen überraschte mich Nadine mit einem Kuchen – als er hereingebracht wurde, verlangten die Gäste nach einer Rede. Also stand ich auf und hielt eine. Ich hatte schon den einen oder anderen Drink konsumiert, weshalb sie ein wenig ins Philosophische tendierte. Ich sagte Dinge wie: «Ich weiß, das Leben kommt manchen von euch im Moment hart vor, da die Welt sich im Aufruhr befindet. Aber nehmen wir uns einen Moment Zeit, um die Dinge in der richtigen Perspektive zu sehen und einfach unser Beisammensein zu genießen. Lassen wir uns von dem Tumult da draußen nicht die Laune verderben. Wir wollen versuchen, im Dezember etwas zur Ruhe zu kommen, und wir wollen auf ein besseres Jahr 2009 anstoßen – lasst uns erfrischt und mit positiven Erwartungen ins neue Jahr gehen!»
Am Ende des Abends beschloss ich, die Rechnung für alle zu übernehmen. Es waren über 3000 Dollar, aber ich zahlte sie gern, und abgesehen davon, dass ich gern Leute einlade, war es ein wichtiger Tag für Nadine und mich, und wir waren mit unseren engsten Freunden zusammen. Alles andere wäre mir nicht richtig erschienen.
Nun war wieder ein Jahr vergangen. Ich wurde einunddreißig. Nadine und ich hatten uns getrennt, die Welt hatte sich verändert – und zwar gewaltig. 2009 war komplizierter gewesen, als ich mir je hätte vorstellen können. Von den dreißig Leuten, die auf meiner letzten Geburtstagsparty zu Gast waren, kam
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