Die Unersättlichen: Ein Goldman-Sachs-Banker rechnet ab (German Edition)
es gut läuft …
Kunden riefen an und wollten wissen, was los ist.
Die Geschäftsführung instruierte uns umgehend: Bleiben Sie unverbindlich, aber seien Sie nicht abweisend. Sagen Sie einfach: «Wir wissen nichts Genaues, wir prüfen die Angelegenheit.» Wir werden Ihnen später eine Argumentationshilfe zukommen lassen.
Etwa ein, zwei Stunden später bekamen wir eine interne E-Mail, die uns einige sehr allgemeine Argumente an die Hand gab und uns die Beschuldigungen etwas näher erläuterte. Die SEC bezichtigte Goldman Sachs, in Informationsunterlagen für ein synthetisches CDO-Produkt, das wir entwickelt hatten, wesentliche irreführende Angaben gemacht und wichtige Tatsachen verschwiegen zu haben. Das Produkt hieß «Abacus 2007-AC1».
Abacus 2007-AC1. Ich hatte noch nie davon gehört. Ebenso wenig irgendeiner meiner Kollegen. Geschweige denn meine Kunden. Es hörte sich an wie etwas von einem anderen Stern. Diese CDO-Deals und andere maßgeschneiderte Produkte im Derivate-Bereich erhielten immer geheimnisvolle und bedeutend klingende Namen. Das war Marketing. Die Zahl bezog sich auf das Ausgabedatum. Es stellte sich heraus, dass Abacus eine ganze Klasse von CDOs war, die Goldman seit 2004 verkaufte, und dieser Exot warf jetzt seinen langen Schatten auf uns.
Goldman Sachs reagierte unverzüglich und unmissverständlich.
«Die Beschuldigungen der SEC sind in rechtlicher wie faktischer Hinsicht völlig haltlos, wir werden uns entschieden gegen sie zur Wehr setzen und unser Unternehmen und seinen Ruf verteidigen.»
Die Firma berief einen bekannten Rechtsanwalt, Greg Craig, den vormaligen Rechtsberater von Präsident Obama, zum Leiter ihres Verteidigerteams. «Sehr gut», dachte ich, obwohl ich keinen blassen Schimmer davon hatte, was genau es mit Abacus auf sich hatte oder auf welche Tatsachen sich die Beschuldigungen stützten, «lasst uns zurückschlagen, und zwar kräftig.»
Während pausenlos Kunden anriefen und aus aller Welt besorgte E-Mails eintrafen, lief «Mr. Fruchtsaft» Paul Conti durch unsere Reihen und rief: «Wir wollen hören, was die Kunden dazu sagen.» Man brauchte nicht groß zwischen den Zeilen zu lesen, um zu begreifen, dass der Gedanke, Kunden könnten in einer Kurzschlussreaktion ihr Geld abziehen, der Vorstandsetage einen gewaltigen Schrecken einjagte.
Ich war zu dem Zeitpunkt gerade dabei, meinen Flug nach Asien zu buchen. «Soll ich trotzdem fliegen?», fragte ich Conti. «Absolut», sagte er. «Diese Reise ist gerade jetzt ungemein wichtig. Wir müssen Präsenz zeigen und den persönlichen Kontakt suchen. Wir müssen uns in genau der richtigen Weise verteidigen.»
Ich beschloss, nach Asien zu fliegen und mich für Goldman Sachs einzusetzen.
Die Zivilklage der SEC hatte es in sich. In ihr wurde behauptet, dass Fabrice Tourre, ein Vice President in der New Yorker Zentrale, in geheimer Absprache mit John Paulson (nicht zu verwechseln mit Hank Paulson), der seit Anfang 2006 durch Leerverkäufe am Hypothekenmarkt enorme Gewinne eingestrichen hatte, Abacus 2007-AC1 ausgetüftelt habe. John Paulson war 2006 noch nicht so bekannt wie heute – er machte sich dadurch einen Namen (und ein Vermögen), dass er gegen den Subprime-Hypothekenmarkt wettete. Laut der Klage der SEC (die sich sowohl gegen Goldman Sachs als auch gegen Tourre richtete) hatte Paulson persönlich die Hypothekenpapiere ausgewählt, die in das Produkt eingingen, und zwar anhand eines einzigen Kriteriums: der höchsten Ausfallwahrscheinlichkeit. Als Abacus dann ausfiel, kassierte Paulson mindestens eine Milliarde Dollar.
Die Klage zeichnete ein schreckliches Bild von Tourre. Mehrere seiner kaltschnäuzigen E-Mails wurden veröffentlicht. Die Tatsache, dass er Franzose war, schien die Londoner und New Yorker Boulevardpresse zu ergötzen. Im Januar 2007 schrieb Fabrice in einer E-Mail an seine Lebensgefährtin über den unmittelbar bevorstehenden Zusammenbruch von Abacus: «Das ganze Gebäude kann nun jederzeit zusammenbrechen. Der einzige potenzielle Überlebende: der fabelhafte Fab, der im Zentrum all dieser komplexen, stark gehebelten exotischen Instrumente steht, die er erschaffen hat, ohne unbedingt alle möglichen Auswirkungen dieser Monstrositäten zu verstehen!!!»
Das war die prägnanteste Bezeichnung für einen Großteil der komplex strukturierten Produkte, die von ihren Schöpfern beziehungsweise ihren Käufern selbst oftmals nicht richtig durchschaut wurden: Es waren Monstrositäten.
Es war sonderbar:
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