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Die Unersättlichen: Ein Goldman-Sachs-Banker rechnet ab (German Edition)

Die Unersättlichen: Ein Goldman-Sachs-Banker rechnet ab (German Edition)

Titel: Die Unersättlichen: Ein Goldman-Sachs-Banker rechnet ab (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Smith
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Als ich den Namen Fabrice Tourre las, erinnerte ich mich vage daran, dass ich ihm vor etwa zehn Jahren begegnet war.
    Ich lernte ihn bei einer der Teambildungsschulungen für Stanford-Absolventen kennen, entweder im ersten Jahr meiner Tätigkeit als Analyst oder im Rahmen des Sommerpraktikums. Diese Veranstaltungen sollten jungen Nachwuchskräften die Gelegenheit geben, mit älteren Alumni in Kontakt zu treten und sie eventuell als Mentoren zu gewinnen. Tourre saß an jenem Abend ein paar Stühle von mir entfernt, er arbeitete zusammen mit einem Freund von mir in der Abteilung Fixed Income. Ich plauderte vielleicht dreißig Sekunden mit ihm.
    Ich kannte ihn nicht vom College, weil er dort nicht sein Grundstudium absolviert hatte, und mit Aufbaustudenten, die als Streber galten, hatten wir für gewöhnlich keinen Kontakt. Fab hatte seinen ersten Studienabschluss in Frankreich gemacht und in Stanford ein einjähriges Master-Studium im Fachbereich Management Science and Engineering angehängt – ein stark mathematisch geprägtes Fach.
    In der kurzen Zeit, die wir miteinander sprachen, kam mir Tourre wie der klassische Quant vor: hochgebildet, aber ein bisschen seltsam und unbeholfen im sozialen Umgang. Er war ganz eindeutig nicht wegen seines Charismas eingestellt worden. Ich weiß, es ist unfair, so etwas zu sagen. Quants sind per Definition keine Stimmungskanonen. Cliff Asness (der bekannte US-amerikanische Finanzmathematiker und Hedgefondsmanager) hat die Welt nicht mit seinem Charme erobert. Aufgabe eines Finanztüftlers ist die Entwicklung komplexer mathematischer Modelle, jener erwähnten «Blackboxes», die – so redet man jedenfalls den Kunden ein – Altpapier in neue 100-Dollar-Scheine verwandeln können.
    In einer idealen Welt wären Finanzmathematiker objektiv – sie würden gleichermaßen im Interesse des Kunden wie ihres Arbeitgebers handeln. Doch Quants arbeiten für gewöhnlich für die Trader, die für den schnellen Erfolg und den großen Gewinn leben, anders als die Leute im Sales, die die Kundenkontakte pflegen müssen. Daher konzentrieren sich die Finanzmathematiker oftmals darauf, Produkte zu kreieren, die dem Kunden sexy erscheinen, tatsächlich aber nur einer Seite nützen: der Firma. Der «fabelhafte Fab» war ein perfektes Beispiel, und er fand in John Paulson einen perfekten Verbündeten und in der niederländischen ABN Amro und der deutschen IKB, den beiden europäischen Banken, die die 1 Milliarde Dollar verloren, die Paulson gewann, die perfekte Kunden.
    In den Tagen nach der Klageerhebung durch die SEC stürzte sich die ganze Welt auf Goldman Sachs. Ein Kommentator in der New York Times , Michael Greenberger, schrieb, wenn der Zusammenbruch von Lehman Brothers im September 2008 mit Pearl Harbor vergleichbar sei, dann sei die Vollstreckungsklage der SEC gegen Goldman wie die Schlacht um Midway, als die US-Navy ihren Ruf wiederherstellte, indem sie die japanische Flotte ausschaltete. Scharfe Worte. Endlich würden die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen, hieß es weiter, die US-Steuerzahler würden endlich ein paar Antworten auf einige der Fragen bekommen, die sie schon seit langem immer wieder gestellt hatten.
    Die Antworten sollten sie schon bald bekommen. Während ich im Flieger nach Asien saß, waren Lloyd Blankfein, David Viniar und Fabrice Tourre zusammen mit anderen Vertretern von Goldman Sachs auf dem Weg nach Washington, wo sie vor den Ständigen Senatsunterausschuss für Untersuchungen treten würden, «um die Beschuldigungen der SEC entschieden zurückzuweisen und die Firma und ihren Ruf zu verteidigen».
    Es war ein merkwürdiges Gefühl, ausgerechnet jetzt der Zentrale den Rücken zu kehren und zehntausend Meilen weit weg zu fliegen. Als ich in der asiatischen Metropole landete, schlug mir eine drückende Schwüle entgegen. Ich war absichtlich einen Tag vor dem Meeting angereist, um mich, und sei es nur ein bisschen, an den zwölfstündigen Zeitunterschied und die Hitze zu gewöhnen. Draußen mochten es knapp vierzig Grad Celsius sein. Die Luft fühlte sich an wie ein Schwamm, der in der Mikrowelle erhitzt worden war. Selbst die kürzesten Wege zwischen klimatisierten Oasen waren eine Strapaze. Wie es der Zufall wollte, war gerade ein Mitarbeiter der Fondsgesellschaft, derentwegen ich angereist war, in der Stadt. Taku, der Mitarbeiter, stammte ursprünglich von dort, arbeitete aber jetzt in der New Yorker Niederlassung der Firma. Er besuchte seine Familie, arbeitete aber

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