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Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins

Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins

Titel: Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milan Kundera
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will: Nehmen wir an, daß es im Weltall einen Planeten gibt, auf dem alle Menschen noch einmal geboren werden. Sie werden sich an ihr Leben auf der Erde erinnern und sich aller Erfahrungen, die sie dort gesammelt haben, bewußt sein.
    Vielleicht gibt es noch einen Planeten, auf dem wir alle ein drittes Mal geboren werden, mit den Erfahrungen der beiden vorangegangenen Leben.
    Und vielleicht gibt es noch weit mehr Planeten, auf denen die Menschheit neu geboren wird, immer um einen Grad (um ein Leben) reifer.
    Das ist Tomas' Version von der Ewigen Wiederkehr.
    Wir auf der Erde (auf dem Planeten Nummer eins, auf dem Planeten der Unerfahrenheit), wir können uns nur eine sehr unklare Vorstellung machen, was mit dem Menschen auf den anderen Planeten geschehen wird. Wird er klüger sein? Liegt die Reife überhaupt in den Möglichkeiten des Menschen?
    Kann er sie durch Wiederholung erlangen?
    Einzig in der Perspektive dieser Utopie ist es möglich, die Begriffe Optimismus und Pessimismus sinnvoll zu verwenden: ein Optimist ist jemand, der glaubt, auf dem Planeten Nummer fünf sei die Geschichte der Menschheit weniger blutig. Ein Pessimist ist jemand, der das nicht glaubt.
    17.
    Ein berühmter Roman von Jules Verne, den Tomas als Kind gelesen hatte, heißt >Zwei Jahre Ferienc, und in der Tat, zwei Jahre sind das Höchstmaß für Ferien. Tomas war nun schon das dritte Jahr Fensterputzer.
    Gerade in diesen Wochen wurde ihm (halb traurig, halb im stillen lachend) klar, daß er körperlich müde war (er bestritt jeden Tag ein bis zwei Liebesturniere), und ohne die Lust verloren zu haben, bemächtigte er sich der Frauen mit seinen letzten Kräften (ich füge hinzu: nicht den sexuellen, sondern den physischen Kräften; er hatte keine Schwierigkeiten mit seiner Potenz, wohl aber mit dem Atmen, und gerade darin lag etwas Komisches).
    Eines Tages versuchte er, für den Nachmittag eine Verabredung zu vereinbaren, aber wie das manchmal so ist, konnte er keine der Frauen telefonisch erreichen, so daß der Nachmittag unausgefüllt zu bleiben drohte. Er war darüber verzweifelt. Er hatte schon zehnmal versucht, eine junge Frau anzurufen, eine sehr attraktive Schauspielschülerin, deren Körper an einem NacktbadeStrand in Jugoslawien so ebenmäßig braungebrannt war, als hätte man sie dort an einem erstaunlich präzise funktionierenden Bratspieß langsam geröstet.
    Erfolglos telefonierte er aus allen Geschäften, in denen er arbeitete, und als sein Dienst zu Ende und er gegen vier Uhr auf dem Rückweg ins Büro war, um die unterschriebenen Arbeitsberichte abzuliefern, hielt ihn plötzlich im Zentrum von Prag eine unbekannte Frau an. Sie lächelte: »Herr Doktor, wohin sind Sie mir denn entschwunden? Ich habe Sie völlig aus den Augen verloren!«
    Tomas überlegte angestrengt, woher er sie kannte. War es eine ehemalige Patientin? Sie benahm sich aber so, als wären. sie sehr enge Freunde. Er versuchte, ihr zu antworten, ohne sich anmerken zu lassen, daß er sie nicht erkannte. Er überlegte bereits, wie er sie dazu überreden könnte, mit ihm in die Wohnung seines Freundes zu gehen, zu der er den Schlüssel in der Tasche hatte, als er an einer zufälligen Bemerkung erkannte, wer die Frau war: es war die herrlich braungebrannte Schauspielschülerin, die er den ganzen Tag über ununterbrochen zu erreichen versucht hatte.
    Diese Geschichte amüsierte und entsetzte ihn gleichermaßen: er war müde, aber nicht nur körperlich, sondern auch geistig; die zwei Jahre Ferien konnten sich nicht unendlich verlängern.
    18.
    Die Ferien vom Operationstisch waren gleichzeitig Ferien von Teresa: sechs Tage in der Woche sahen sie sich kaum, nur am Sonntag waren sie zusammen. Und obwohl sie einander begehrten, mußten sie aus weiter Ferne aufeinander zukommen, wie damals, als er aus Zürich zurückgekehrt war. Die Liebe brachte ihnen zwar Lust, aber keinen Trost. Sie schrie nicht mehr wie früher, und beim Orgasmus schien ihr Gesicht Schmerz und eine seltsame Abwesenheit auszudrücken.
    Nur im Schlaf waren sie jede Nacht zärtlich verbunden. Sie hielten sich fest an der Hand, und sie vergaß den Abgrund (den Abgrund des Tageslichts), der sie beide voneinander trennte. Doch reichten die Nächte für Tomas nicht aus, Teresa zu beschützen und zu behüten. Wenn er sie morgens ansah, zog sich sein Herz wieder in Angst um sie zusammen: sie sah traurig und krank aus.
    An einem Sonntag bat sie ihn, mit ihr aufs Land hinauszufahren. Sie fuhren in den Kurort, in

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