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Die Ungehorsame Historischer Roman

Titel: Die Ungehorsame Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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skandalös, aber anders ging es nicht. Meine Güte, was konnte sie alles erzählen. Und von Pferden wusste sie wirklich alles. Mit ihr durch die Ställe zu gehen war herrlich, mit ihr auszureiten schlichtweg wahnsinnig. Sie bestand sogar darauf, dass Ursel im Herrensitz und in Hosen reiten lernte. Schießen konnte sie auch wie der Teufel - sie traf, wie es sprichwörtlich heißt, im Galopp das Auge einer herumsirrenden Fliege.
    Über zwanzig Jahre hatte sie in Ägypten gelebt und kannte das Land in- und auswendig. Einmal hatten sie über die Pharaonen und die alten Götter gesprochen, und Lennard hatte ganz vorsichtig einfließen lassen, es gäbe wohl auch heute noch Menschen, die die Tiergötter verehrten. Sie hatte einen kurzen Augenblick verdutzt ausgesehen, dann hatte sie aber darüber gesprochen. Es gab wohl, seit die Franzosen unter Napoleon in Ägypten eingefallen waren, etliche Forscher und auch Scharlatane, die sich für die alten Kulturen interessierten und mehr und mehr antike Stätten ausgruben. Darüber habe sich das Wissen über die alten Reiche vermehrt und einige, recht unkluge Leute hätten versucht, die alten Götterkulte nachzuahmen. Ursel war dann so mutig gewesen und hatte nach Opfern und Weihehandlungen gefragt, und auch darauf hatte die komische Lady sehr vernünftige Antworten gegeben. So vernünftig, dass sie ihr sogar anvertrauten, was sie erlebt hatten. Na ja, nicht alles, aber einige Sachen aus dem Keller. Zum Beispiel diese Schlange, die der Herr der Unterwelt genannt wurde.

    Ja, es war lustig mit ihr, und Tante Leonie ließ sich anstecken, obwohl sie einige Tage ein wenig steif gewirkt hatte. So als habe sie Mühe, Haltung zu wahren. Aber dann war plötzlich alles wieder im Lot, sie waren zusammen ausgeritten, hatten Spiele veranstaltet und zusammengesessen und Lieder gesungen. Lady Frances hatte eine Stimme wie ein erkälteter Rabe, was sie aber nicht hinderte, ihnen Dutzende von englischen Weihnachtsliedern, Carols, beizubringen. Der Leutnant von Benningsen kam am Tag vor Silvester auch vorbei und hatte ihnen weitere Geschenke mitgebracht. Der Abend war so voller Lachen verlaufen, es gab eine Bowle, über der ein brennender Zuckerhut stand, massenweise Nüsse und Rosinen in Schokolade, und Tante Leonie hatte am Klavier gesessen und mit der Großmutter vierhändig gespielt. Warum jedoch alle in haltloses Kichern ausbrachen, als die Großmutter auf französisch »Morgen kommt der Weihnachtsmann« sang, war ihnen nicht klar. Erst als Lady Frances ihnen zuflüsterte, das sei der Originaltext des Liedes und sehr, sehr frivol, weil es von einem Mädchen handelte, das seiner Maman beichten musste, was es mit einem Kavalier im Wald getrieben hatte, verstanden sie es, und sogar Lennard war in der Lage das »Ah, vous dirais-je, maman« fehlerlos auswendig zu lernen.
    Heimlich aber fragten sie sich, wie eine solch gesetzte und untadelige Dame wie ihre Großmutter nur solch schlimme Lieder singen konnte.
    Und am nächsten Tag ging es noch einmal überaus hektisch im Haus zu, denn die Flemmings hatten die gesamte Nachbarschaft zu einem Silvesterball eingeladen. Ursel und er hatten mitgeholfen, den Ballsaal zu schmücken, unzählige Blumen aus buntem Seidenpapier gebastelt, Kreppbänder und Schleifen aufgehängt, Gläser gewischt und geholfen, das Silber zu putzen. Über hundert Leute kamen, und sie hatten noch einmal neue Kleider bekommen, Lennard einen richtigen Frack und Ursel ihr erstes langes Kleid. Herrje, hatte seine Schwester geheult, als sie es in ihrem Zimmer fand!
    Aber als es so weit war, hatte sie es mit Tante Leonies Hilfe angezogen und sich frisiert und - ehrlich gesagt, sie sah ziemlich hübsch aus in dem ganz zart türkisfarbenen Ding. Sie durften am Diner teilnehmen, das nur ganz ausgewählten Gästen vorbehalten war, sechsundzwanzig Leute saßen mit ihnen zusammen am langen Tisch, und
es wurden Leckerbissen um Leckerbissen serviert. Sie machten, ganz wie die Erwachsenen, Konversation und waren heimlich stolz darauf, als die Großeltern ihnen anerkennend zunickten. Dann trafen die Ballgäste ein, und die Musiker spielten zum Tanz auf. Es berührte sie zutiefst, dass Onkel Leo und Tante Leonie die ersten waren, die auf die Tanzfläche gingen, und dann schubste sie die Großmutter an und sagte, sie sollten als nächste tanzen. In guter Haltung absolvierten sie die Ehrenrunde.
    Eigentlich, das war ihnen beiden klar, waren sie noch viel zu jung, um an einem Ball teilnehmen zu dürfen.

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