Die Ungehorsame Historischer Roman
Caféhaus vergnügen.
Dann hatte sie Leonie in ein höchst unordentliches Atelier gebeten und das rosa Kleid mit den grauen Ranken, das sie trug, in ihrem harten Akzent gründlich geschmäht.
Leonie hatte es sich kühl lächelnd angehört, und als die Couturière geendet hatte, nüchtern geantwortet: »Ich stimme Ihnen in allen Punkten zu. Deshalb bin ich hier. Machen Sie es besser, Madame Gawrila!«
»Stehen Sie auf, Frau Mansel!«, hatte diese kurz gefordert und angefangen, ihre Maße zu nehmen. »Sie könnten sich fester schnüren.«
»Könnte ich, werde ich aber nicht.«
»Gut! Nehmen Sie diesen gerüschten Topfdeckel ab.«
Leonie gehorchte und entfernte den Hut, wobei sie mühsam ihre aufsteigende Heiterkeit unterdrückte. Die barsche Künstlerin amüsierte sie außerordentlich.
»Ziehen Sie die Haarnadeln heraus!«
Auch das tat sie ohne Zögern. Sie wich auch nicht zurück, als Gawrila mit beiden Händen in ihre Haare griff und die Locken aufbauschte. Sie nickte dann beifällig und verschwand im Nebenraum. Gleich darauf kam sie mit einigen Stoffrollen zurück und warf den zart glänzenden, sonnenblumengelben Jakonett mit einer großzügigen Bewegung über Leonie. Mit zwei, drei Handgriffen raffte sie ihn zu einem Kleid. Sie nahm ein paar Schritte Abstand und nickte. Dann schob sie den Standspiegel so, dass Leonie sich sehen konnte.
»Haben Sie den Mut, damit auf die Straße zu gehen?«, fragte sie drohend.
Das Kichern, das sie zunächst ob des theatralischen Gebarens der Schneiderin übermannen wollte, verging Leonie, und mit anerkennendem Blick betrachtete sie das, was sie insgeheim als »den großen Wurf« bezeichnete.
»Gegebenenfalls würde ich mir die Haare etwas im Nacken zusammennehmen«, erklärte sie trocken.
»Schneiden Sie sie ab!«
»Hat meine Zofe auch schon vorgeschlagen.«
»Dann hören sie auf die Frau!«
»Sie ist noch keine elf Jahre alt, und ihr Vorschlag entsprang eher der Bequemlichkeit als dem guten Geschmack.«
»Kindermund tut Wahrheit kund. Pascale am Neuen Markt ist
ein guter Coiffeur. Sagen Sie, ich hätte Sie geschickt. Können Sie sich das Kleid leisten?«
»Die Frage beantworte ich Ihnen, wenn Sie mir den Preis nennen.«
»Wollen Sie Volants?«
»Das überlasse ich Ihnen.«
»Rüschen? Bänder, Spitzen? Blumengirlanden?«
»Wie Sie es für richtig halten.«
Die Russin legte den Kopf ein wenig schief und betrachtete die wesentlich zierlichere Leonie mit zusammengezogenen Brauen. Schließlich murrte sie: »Sie kriegen’s zum reduzierten Preis und werden es sich leisten können.« Dann schrieb sie einige Zahlen auf ein liniertes Blatt und reichte es Leonie.
Die Summe war nicht so astronomisch, wie sie gefürchtet hatte, wenngleich auch nicht eben unbedeutend. Aber ihr Gatte hatte ihr ja freie Hand gelassen, also nickte sie.
»Kommen Sie nächste Woche zur Anprobe!«, brummte Gawrila und reichte ihr die Haarbürste, damit sie sich wieder frisieren konnte.
Auf diese Weise gnädig angenommen, hatte sich Leonie beschwingt auf den Heimweg gemacht und den Leutnant dabei mit einer launigen Schilderung des Erlebten entzückt.
Nun hing das Kleid in ihrem Boudoir und leuchtete wie die Sonne, obwohl der Tag recht wechselhaft zu werden schien. Es war das schlichteste Gewand, das sie je besessen hatte, aber Ursel hatte mit offenem Mund davor gestanden.
»Sie werden aussehen wie eine Prinzessin!«, hatte sie geseufzt, und Leonie wusste, das war ein hohes Lob, denn Prinzessinnen erfreuten sich seit der Lektüre der Märchenbücher bei ihrer Zofe höchster Wertschätzung. Mit Begeisterung hatte sie ihr dann beim Anlegen geholfen und auch nicht gemurrt, als sie die Haare frisieren musste, die abzuschneiden Leonie sich doch noch nicht gewagt hat- te. Aber sie war bereit, sie nicht mehr ganz so straff zusammenzunehmen, und so umspielten einige Locken ihr Gesicht, und nur eine winzige Toque aus demselben Stoff wie das Kleid und mit einer einzelnen weißen Seidenrose dekoriert bedeckte ihren Scheitel.
Nicht nur Ursel machte ihr Komplimente, auch Edith und Sven waren begeistert, als sie zu ihnen trat, um gemeinsam zum Dom aufzubrechen. Hendryk Mansel hatte geäußert, er müsse den Tag in Brühl verbringen, aber wenn sie sich denn gerne ins Gedränge stürzen wolle, solle sie das Vergnügen wenigstens stilvoll genießen, und hatte ihr drei Eintrittskarten für die Tribüne gegeben. Doch zunächst nahmen sie an der Messe im Dom teil, die mit dem jubelnden Halleluja von
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