Die Ungehorsame Historischer Roman
man sich vornimmt zu finden, vorausgesetzt, man hat das Material schon mal in der Hand gehabt oder, noch besser, man hält eine Probe davon an seinem Körper. Wenn ich also Gold suche, tue ich gut daran, etwa einen Goldring zu tragen.«
»Fanden Sie Gold, Herr Mansel?«
»Ja, aber nur Spuren, nicht des Abbaus wert.«
Leonie, merkte er, lauschte höchst aufmerksam, und er lenkte das Gespräch vorsichtig in andere Bahnen. Merzenich war leicht auf die geologischen Erkenntnisse der letzten Jahre hinzuführen, und schon bald diskutierten sie über den Ursprung von Sedimentgesteinen und Magmatiten, Leitfossilien und Schichtenfolgen und redeten sich die Köpfe heiß, ob der neptunistischen oder der vulkanischen Entstehungstheorie der Erde Vorzug zu geben sei. Schon lange nicht mehr hatte er sich derartig gut unterhalten
»Und alles im allem erschüttert ihr jetzt meinen festen Glauben, die Erde sei genau 4004 Jahre vor Christi Geburt in sechs Tagen geschaffen worden«, warf Leonie in einer Gesprächspause ein.
Hendryk kam auf den Boden zurück.
»Verzeihen Sie, Leonie. Ich fürchte, unser Disput uferte ein wenig aus. Es gibt sehr unterschiedliche Theorien zur Schöpfung der Welt, und keine ist je erhärtet worden.«
»Lassen Sie sich nicht von Ihrem frechen Weib foppen, Hendryk«, kicherte der Pastor und schenkte ihnen noch ein Glas Rotwein ein. »Ihr Vater hat versucht, ihr diese Lehre einzutrichtern, aber Sven und ich haben in vielen Dingen bereinigend auf ihre Bildung gewirkt. Oder bist du heuer der Meinung, wir bildeten erst seit 5847 Jahren die Krone der Schöpfung?«
»Wie könnte ich, habe ich nicht selbst mit dir zusammen versucht, das Alter von Versteinerungen zu bestimmen? Sorgen Sie sich nicht, Hendryk. Auch wenn ich nicht eben der Meinung bin, die Erde sei aus den feuerspeienden Schlünden der Berge entstanden, und wir noch lange nicht belegen können, wie alt sie wirklich ist, so denke ich auch eher in Millionen von Jahren, nicht in Tausenden.«
Sie faszinierte ihn immer wieder, vor allem, weil sie zwar schweigend,
aber durchaus verständig ihrer Diskussion gefolgt war. Hendryk nahm sich vor, sie zukünftig häufiger einmal mit wissenschaftlichen Hypothesen zu ködern. Ihre Ansichten interessierten ihn.
Am folgenden Tag, nach einem sehr schönen und stimmungsvollen Ostergottesdienst, fuhren sie den Petersberg hinauf, wo sie in der beliebten Gastwirtschaft von Heisterbach Einkehr zu halten wünschten. Dort hatte früher ein Zisterzienserkloster aus dem zwölften Jahrhundert gestanden, das nach der Säkularisierung durch die Franzosen zu Beginn des Jahrhunderts zum Abbruch freigegeben worden war. Die Steinquader hatte man für den Bau eines Kanals und die Festung Ehrenbreitstein bei Koblenz verwendet. Übrig geblieben von dem großen gotischen Gebäude war nur noch die Rückwand des Chors mit ihren hohen Spitzbogenfenstern. Diese graue, efeuumrankte Ruine ragte nun romantisch zwischen den jung belaubten Bäumen auf, eine weite Rasenfläche davor gestattete einen guten Eindruck, wie sich die Klosterkirche einst auf dem Petersberg erstreckt hatte. Sie war ein beliebtes Ziel all jener, die den burgengesäumten Rhein bereisten, und selbstverständlich waren sie nicht alleine auf den Gedanken gekommen, diese schöne Stätte zu besuchen. Ausflügler aller Art hatten sich hier versammelt, und eine johlende Gesellschaft von Studenten in vollem Wichs vertrieb sie bald nach dem Essen aus den Räumen der Gastwirtschaft.
Sie durchstreiften die Umgebung, die als weitläufiger englischer Landschaftsgarten angelegt war, und Leonie wusste den Kindern ein wenig über den Baustil zu berichten, als sie das Halbrund der Chorruine betraten. Und da nicht nur Efeu das zierliche Maßwerk der Fenster umrankte, sondern auch eine lehrreiche Sage, ergötzte der Pastor sie anschließend mit der Geschichte von Pater Ivo, einem wissbegierigen Mönch aus der Zeit des Erzbischofs Engelbert, der in diesem Kloster gelebt hatte. Ihm hatte Gott wegen seines Forschens und Zweifelns das Gefühl für die Zeit geraubt, sodass für ihn dreihundert Jahre unbemerkt verstrichen waren.
»Hier habe ich für euch ein hübsches Gedicht gefunden, das im vergangenen Jahr unser junger heimischer Dichter Wolfgang Müller dazu verfasst hat.«
Der Pastor zog einen gefalteten Zettel heraus und reichte ihn Ursel.
»Nun, dann wäre es doch sehr hübsch, wenn ihr euch jetzt dort in die Sonne setzt und es auswendig lernt«, schlug Leonie vor.
Hendryk
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