Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die ungehorsame Tochter

Die ungehorsame Tochter

Titel: Die ungehorsame Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
Vom Netzwerk:
über dem Fluss, die das Schiff aufhalten und ihm Zeit geben würde, über seine Flucht nachzudenken. Aber es war sternenklar,
     und der schon fast volle Mond ermöglichte das Segeln während der ganzen Nacht.
    Als sie Stade passierten, ihm fehlte schon ein Zahn, sein linkes Auge schwoll zu, und in seinem Kopf dröhnte eine Trommel,
     gab er zu, den Schmuck in Altona gekauft zu haben. Von Berno Steuer, der sei es gewesen. Sie lachten nur. Berno? Der jüngste
     Steuer? Der konnte doch nicht mal die Mäusebrut aus den Schuppen seiner Eltern ersäufen. Knirschend brach der zweite Zahn.
    Als sie Altona passierten, ruderten trotzdem zwei Lotsknechte mit dem Beiboot hinüber, um Berno zu holen und ihn wie auch
     Luther nach Hamburg zu bringen. Anna Hörne war in Altona gestorben, aber sie waren Hamburger Lotsen, und auch Paulung saß
     in der Hamburger Fronerei.
    Die Sonne stieg gerade über den östlichen Horizont, und beim Blockhaus zogen die Knechte des Hafenmeisters die Schwimmbäume,
     die Sperren vor der Einfahrt zum Niederhafen, ein, als die Galiot das Hornwerk passierte. Eine knappe Stunde später hastete
     Grabbe, der Weddeknecht, von der Fronerei nach der Neustadt undzur Wohnung seines Weddemeisters. Wagner ließ seinen Gerstenbrei stehen und eilte umgehend zur Fronerei, die Beute der Lotsen
     zu begutachten und zu befragen.
    Um diese Zeit segelte die
Anne Victoria
längst mit gutem Wind auf der Nordsee. Niemand außer Samuel Luther hatte die Brigg in Cuxhaven verlassen.
    NACHMITTAGS
    Claes Herrmanns war müde. Sein Kopf schien voller Kapok, und als er auf dem Weg zur Börse den Korb einer Heringshökerin umwarf,
     entschuldigte er sich nicht, wie es sich auch für einen reichen Kaufmann gehörte, sondern strafte die alte Frau mit einem
     Blick wie Blitz und Donner und eilte wortlos weiter. All das lag nur an diesem aufdringlichen Vollmond, der sein Schlafzimmer
     in silbriges Licht getaucht und ihn immer wieder hatte aufschrecken lassen. Ein guter Börsentag und der übliche Kaffee mit
     einer Prise Kardamom in
Jensens Kaffeehaus
hatten seine Laune zwar um ein Quäntchen verbessert, dennoch herrschte an diesem Tag im Kontor am Neuen Wandrahm eine ungewöhnlich
     explosive Stimmung.
    Die beiden Handelslehrlinge waren schon den ganzen Morgen damit beschäftigt, Postfächer, Dokumententruhen und Laden auszuräumen
     und deren Inhalte neu zu sortieren. Ihr Herr war plötzlich der Ansicht gewesen, das habe schon seit Monaten geschehen müssen,
     diese staubige Schlamperei sei unerträglich, ob sie glaubten, ein Kaufmann könne erfolgreich sein, ohne gute Ordnung zu halten.
     Solche Töne waren die beiden jungen Männer von ihrem für gewöhnlich in diesen Dingen großzügigen Herrn nicht gewohnt, aber
     sie waren kluggenug, sich still zu ducken und seinen Anordnungen zu folgen, gewiss, der Sturm werde bald vorüber sein. Christian Herrmanns,
     mit ihrer Kontrolle und der Überprüfung und Neuordnung der Papiere beauftragt, war froh, für diesen Tag seinem Platz gegenüber
     dem seines Vaters zu entkommen.
    So herrschte dumpfe Stille, nur unterbrochen vom Rascheln der Papiere und den hin und wieder geflüsterten Fragen der Lehrlinge,
     als Weddemeister Wagner so eilig die Treppe zum Kontor heraufstapfte, dass dem alten Blohm keine Zeit blieb, ihn zu melden.
     Wagner empfand diese Melderei als unsinnig umständlich, gleichwohl als äußerst hilfreich, denn nichts war ihm peinlicher,
     als ungelegen zu kommen und zu stören. Heute war keine Zeit für die Sitten der vornehmen Häuser, und so polterte er, ohne
     auch nur anzuklopfen, in das Kontor. Wortlos fegte er an den verblüfften Lehrlingen und dem Sohn des Hausherrn vorbei durch
     den ersten Raum, stieß die Tür mit dem großen Glasfenster zum zweiten auf und stand heftig atmend vor Claes Herrmanns. Was
     dem eigentlich wieder eine Gelegenheit gegeben hätte, dem Unmut, den er nicht nur in seiner Stimmung, sondern in jeder Faser
     seines Körpers spürte, freien Lauf zu lassen. Doch ganz gegen seine Gewohnheit ließ Wagner ihn gar nicht erst zu Wort kommen,
     hielt er sich weder mit der Suche nach seinem großen blauen Schnupftuch für die nun tatsächlich schweißnasse Stirn noch mit
     einer umständlichen Begrüßung auf.
    «Gewiss komme ich ungelegen, Monsieur», schnaufte er und wischte sich mit dem Ärmel über die Stirn. «Aber es hat Eile und
     erlaubt keinen Aufschub. Eile, ja. Wisst Ihr, wo sich Mademoiselle Rosina aufhält?»
    Claes erhob sich, drückte

Weitere Kostenlose Bücher