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Die ungehorsame Tochter

Die ungehorsame Tochter

Titel: Die ungehorsame Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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hochinteressante Gespräch an dieser Stelle abrupt unterbrochen. Weddesenator van Witten, wie meistens
     im sandfarbenen Rock, die Weste aus schwerer bestickter Seide voller Silberknöpfe, hatte das Kaffeehaus betreten und Claes
     Herrmanns entdeckt. Für die nächste halbe Stunde, bis es höchste Zeit war, in die Kontore zurückzukehren, war von ihrem Tisch
     nur noch van Wittens sonore Stimme zu hören. Natürlich ging es nicht um Belanglosigkeiten wie die Identität eines ehemaligen
     Göttinger Studenten, sondern – mal wieder – um die Versandung des Hafens, was Bocholt noch grämlicher blicken ließ. Die war
     zwar nicht in der Zuständigkeit der Wedde, sondern der Admiralität und der Elb-Deputation, doch es gab nichts in der Stadt,
     zu dem der Senator nicht seine dezidierte Meinung hatte, die er fröhlich kundtat. Zum Glück vergaß er darüber völlig zu fragen,
     was Claes’ Verhandlungen auf Helgoland ergeben hätten.

KAPITEL 11
    MONTAG, DEN 20.   MARTIUS,
MITTAGS
    Samuel Luther hatte auf der englischen Brigg angeheuert, um seine Heimat zu verlassen und nie mehr zurückzukehren. Auf der
Anne Victoria
wollte er nur bis London fahren, um sich dort ein anderes Schiff zu suchen, eines, das nach Baltimore segelte, jedenfalls
     quer über den Ozean an das andere, das bessere Ende der Welt. Wenn er doch eines Tages zurückkehrte, dann nur um zu zeigen,
     wie wohlhabend und bedeutend er geworden war.
    Er war nur bis Cuxhaven gekommen und kehrte gefesselt und zerschlagen zurück.
    Er hatte alles falsch gemacht. Hätte er nur bis London gewartet, um das verdammte Silberding zu verkaufen. Vor allem aber
     hätte er nicht versuchen sollen, es dieser Dame, der Freundin des Captains, wieder wegzunehmen, sondern einfach behaupten,
     es gehöre dem Segelmacher. Der war wie alle anderen in Hamburg an Land gewesen, lange genug, um sich in irgendeiner Kaschemme
     gestohlenes Zeug andrehen zu lassen. Sie waren sehr leise gewesen, die Dame konnte unmöglich alles verstanden haben, was er
     mit dem Kahlkopf geredet hatte. Als sie plötzlich hinter ihm stand, den Kettenanhänger aufhob, ins Licht hielt und genau betrachtete,
     hatte er einfach nicht schnell genug gedacht. Nein, er hätte das wirklich nicht versuchen sollen. Sofort waren zwei der englischenMatrosen angerannt gekommen und hatten ihn zurückgerissen. Es stimmte eben doch: Frauen an Bord brachten Unglück und Tod.
    Der Teufel wusste, woher sie den Silberschmuck kannte. Sosehr er auch beteuerte, er wisse nichts davon, er habe ihn einem
     Händler im Hafen abgekauft – es nützte nichts. Es sei egal, woher er ihn habe, sagte der Captain. Er werde mit der Lotsgaliot
     zur Hamburger Station nach Cuxhaven und von dort nach Altona zurückgebracht.
    Er war auch dumm gewesen, als er versuchte zu fliehen, kaum dass die Galiot festmachte. Wieder nicht schnell genug. Sie fesselten
     ihn, und anstatt auf ein Schiff zu warten, das ihn mit zurücknahm, machten sie, obwohl es schon kurz vor Sonnenuntergang war,
     die kleinere der beiden Lotsgalioten los und brachten ihn selbst zurück.
    Was nun kam, war noch schlimmer als auf der Brigg. Dort war er einfach irgendeiner, der in Hamburg angeheuert hatte. Niemand
     kannte ihn. Auf der Lotsgaliot waren zwei, die ihn kannten, alle wussten vom Tod des Mädchens und dass auch er davon wissen
     musste. Über nichts anderes hatte man ja in den letzten Tagen in Altona und auch in Hamburg gesprochen. Auch hatten alle von
     der Sache mit dem Schmuck gehört, einer zog sogar einen dieser Zettel mit der Zeichnung aus der Tasche, die der Polizeimeister
     überall hatte verteilen lassen. Warum er den Anhänger, wenn er ihn denn tatsächlich bei einem Händler gekauft oder, wie er
     nun behauptete, beim Würfeln gewonnen hatte, nicht zum Altonaer Polizeimeister oder zur Hamburger Wedde gebracht habe? Wieso
     er zulasse, dass der Falsche, ein Unschuldiger gehenkt werde? Er verstand nicht, warum plötzlich alle sicher glaubten, Matthias
     Paulung sei unschuldig, nur weil dasSchmuckstück aus seiner, Luthers, Tasche aufgetaucht war. Wahrscheinlich hätte sie das kaum gekümmert, wäre die Tote nicht
     die Tochter des Lotsenältermannes gewesen und stammte nicht der, der dafür hängen sollte, auch aus einer Lotsenfamilie. Zwar
     einer, mit der sie im Streit lagen, doch das schien nun einerlei.
    Samuel Luther hatte Nebel immer verabscheut. In dieser Nacht jedoch wünschte er sich nichts so sehr wie eine endlose, undurchdringliche
     Nebelwand

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