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Die ungehorsame Tochter

Die ungehorsame Tochter

Titel: Die ungehorsame Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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fragen.»
    «Er kann doch nicht einfach verschwinden. Wir brauchen ihn bei der Probe. Er ist so schrecklich gewachsen, ich bin mir nicht
     sicher, ob er noch für den Putto taugt. Ach, Rosina», Jean stützte die Ellenbogen auf und legte sein Kinn in die Hände, «warum
     muss   …»
    «…   er nur erwachsen werden», vollendete sie freundlich spottend seinen Satz. «Ich weiß, Jean. Aber sicher stromert er nur ein
     bisschen am Hafen herum und hofft, dass die ersten Segel auftauchen. Du weißt doch, wie ihn die Schiffe locken.»
    «Bald wird ihn eines so sehr locken, dass er sich anheuern lässt und vollends verschwindet. Und dann?»
    «Das wird nicht geschehen. Außerdem wird Muto bei ihm sein, der passt schon auf, dass Fritz seine Abenteuerträume beherrscht.»
    «Da bin ich aber gar nicht sicher. Das klingt mir eher wie einen Fuchs ein Huhn bewachen lassen.»
    Wieder lachte Rosina. «Das ist ein nettes Bild. Zumindest passt es zu den Haarschöpfen der beiden, dem weißblonden und dem
     rostfarbenen. Warum machst du aus dem rundlichen Putto nicht einfach einen hehren Engel? Das wird niemanden stören, und für
     den ist Fritz weder zu lang noch zu dünn. Es passt auch besser, wenn seine Stimme vom kindlichen Sopran zum Reibeisen kippt.»
    «Eine formidable Idee. Und so einfach. Jeder wird sofort bereit sein zu glauben, es sei meine.»
    Nun lachte auch Jean, laut und vergnügt, und Rosina spürte wieder, dass sie ihn nicht nur aus Dankbarkeit mochte. Ihr Prinzipal
     war eitel, leichtsinnig, zuweilen selbstsüchtig, sein Herz war dennoch groß, und meistens wusste er auch, wann es an der Zeit
     war, über sich selbst zu lachen.
    «Wo hast du so gut Französisch gelernt, Rosina?» Filippo hatte Rosina und Jean nur mit halbem Ohr zugehört und nach dem Bogen
     gegriffen, der noch tintenfeucht auf dem Tisch lag.
    Rosina, die gerade einen ihrer ewig rutschenden Kämme in ihre dicken Locken zurücksteckte, verharrte in der Bewegung.
    «Auf dem Theater ist das nur von Vorteil», sagte Jean schnell. «Die lustigsten Stücke kommen meistens aus Frankreich, vor
     allem diese Singspiele mit den Vaudevilles. Keine Bühne, die auf sich hält, kommt noch ohne sie aus. Keine. Nur die Hamburger
     Gesellschaft am Gänsemarkt findet diese Stücke für ihr Akademistenrepertoire natürlich nicht gut genug. Nichts gegen Monsieur
     Lessing, er ist ein wirklich vergnügter Mensch, und seine
Minna
ist recht unterhaltsam. Obwohl er darin ganz auf Tanz und Gesang verzichtet hat, was sehr ungeschickt war. Doch nichts geht
     über die französische und italienische Comédie. Nicht einmal Monsieur Gellerts
Zärtliche Schwestern
in unserer heiteren kurzen Fassung. Da ist es nur gut, wenn man das Französische beherrscht. Ich tue das auch.»
    «Ja. Aber Rosinas Französisch ist, mit Verlaub, Prinzipal, sehr viel besser als deines. Es ist», nach dem richtigen Wort suchend,
     sah er sie aufmerksam an, «es ist elegant. Auch ihre Übersetzung ist elegant. Vornehmer als die anderer Wandertheater.»
    «Elegant, so. Was glaubst du, warum ich ihr erlaube, die Übersetzungen zu machen? Jeder hat seine Talente, wir lassen keines
     ungenutzt, nichts wird verschwendet. C’est ça.» Er warf Rosina, die immer noch mit ihren Kämmen beschäftigt war, einen Blick
     zu und fuhr rasch fort: «Woher weißt du überhaupt, dass ihr Französisch besser ist als meines? Du kennst doch nur die Übersetzungen.»
    Filippo schüttelte den Kopf. «Vorgestern hat uns ein Franzose nach der katholischen Kirche gefragt. Ich habe kaum ein Wort
     verstanden, er sprach sehr schnell und schien es für selbstverständlich zu halten, dass alle Welt seine Sprache spricht. Der
     Weg ist nicht einfach zu erklären, aber Rosina hat mit ihm parliert, als verdiene sie ihr Brot nicht auf unseren Brettern,
     sondern mit dem Unterricht fürstlicher Töchter.»
    «Sehr fein gesagt, Filippo, in der Tat. Aber das ist ganz allein Rosinas Sache. Hier zählt nur, was man kann, nicht woher
     oder warum man es kann.»
    «Lass nur, Jean.» Rosina war nun mit ihren Kämmen fertig und zog Filippo den Bogen, den er wie ein Beweisstückimmer noch festhielt, aus den Fingern. «Meine Mutter hat mich Französisch gelehrt. Das ist kein Geheimnis. Und nun, Messieurs,
     möchte ich weiterarbeiten.»
    «Gewiss, die Übersetzung ist eilig.» Jean schien völlig vergessen zu haben, dass er sich gerade noch als vehementer Verfechter
     der Diskretion gebärdet hatte. «Deine Mutter, sagst du? Ja, die

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