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Die ungehorsame Tochter

Die ungehorsame Tochter

Titel: Die ungehorsame Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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Begeisterungsstürmen.
    Streitende Stimmen auf der Treppe rissen Rosina aus ihren Gedanken.
    «Gesine hat
natürlich
recht», rief Jean. «Es ist zu viel! Du siehst mit diesem Kopfputz nicht wie eine verführerischejunge Schäferin aus, sondern wie ein Wiedehopf, der sich einbildet, König zu sein.»
    «Das ist gemein.» Manons helle Stimme zitterte. «Ständig sind dir Mutters Kostüme zu brav, nur wenn es um meine geht, willst
     du sparen.»
    «Es geht nicht darum zu sparen, Kind. Kunst und Sparen!! Es geht einzig um die richtige Wirkung. Selten, sehr selten sogar,
     ist weniger mehr. Hier haben wir so einen Fall. Und nun will ich davon nichts mehr hören, geh zurück zu deiner Mutter und
     hilf ihr, dein Kostüm fertig zu machen. Du wirst darin bezaubernd aussehen. Glaub mir, Manon», mit diesem Appell öffnete er
     schwungvoll die Tür und trat, von einer zornigen Manon und einem grinsenden Filippo gefolgt, in das Zimmer. «Glaub mir, ich
     kenne die Wirkung auf der Bühne. Stell dir das Licht der Kerzen vor, Rudolfs Kulissen, die Musik, besonders die Musik!, die
     malt in den Köpfen des Publikums Bilder, die es sonst nie sehen würde. Das stell dir vor, und du wirst dein Kostüm mit anderen
     Augen sehen. Und nun», er hob die Arme wie am Beginn eines besonders inbrünstigen Couplets, ausnahmsweise ganz ohne etwas
     umzuwerfen, weil einfach nichts in der Nähe war, «nun ist Schluss. Nun kehrst du zu Nadel und Faden zurück, und damit basta.
     Lass dir nicht einfallen, Gesine zu sagen, ich hätte anders entschieden.»
    Aufseufzend ließ er sich auf einen Stuhl fallen, lauschte den zornigen Schritten seiner jüngsten Komödiantin auf der Treppe
     nach und seufzte mit flehend erhobenen Händen: «Sie war ein so reizendes, braves Kind. Warum muss sie nur wachsen? Sag, Rosina,
     warum?»
    Rosina lachte. «Ich habe keine Ahnung, warum die Natur so eingerichtet ist. Manon kenne ich seit beinahezehn Jahren, ich bin mir nicht sicher, ob sie wirklich jemals brav war, falls du damit still und demütig meinst.»
    «Glaubst du?» Jean zupfte stirnrunzelnd an den schon etwas ausgefransten Spitzen, die aus den Ärmeln seines quittegelben Rockes
     hervorsahen, seufzte und faltete ergeben die Hände vor der Brust. «Vielleicht werde ich einfach alt. Seit graue Fäden in mein
     Haar schleichen, sind mir diese Geschöpfe zwischen Kind und Weib doch recht anstrengend.»
    Rosina ignorierte unbarmherzig die unausgesprochene Aufforderung, den Verlust seiner Jugendlichkeit zu bestreiten. «Fünfzehnjährige
     sind immer anstrengend, Prinzipal. Ich bin sicher, du warst es auch.»
    «Glaubst du? Daran kann ich mich wirklich nicht erinnern. Setz dich doch endlich, Filippo», rief er und drehte sich nach seinem
     Akrobaten um, «räum den Stuhl dort frei und setz dich.» Filippo war schon seit einem guten Jahr Komödiant der Becker’schen
     Gesellschaft. Sein Respekt vor dem Prinzipal war dennoch ungebrochen, was dem außerordentlich gefiel. Filippo, fand Jean,
     sei in dieser kurzen Zeit schon ein unersetzliches Mitglied in seinem Ensemble geworden. Was wiederum alle anderen wunderte.
     Noch im letzten Sommer war auch Rosina sicher gewesen, Filippo werde die Becker’schen bald wieder verlassen. Er war von dieser
     frischen Hübschheit, die den Damen besonders gefiel, er war ein guter Tänzer und passabler Sänger, wenn auch mit ein wenig
     zu viel Schmelz. So war er genau der Richtige für die Rollen, die Jean trotz des Silbers in seinem dichten schwarzen Haar
     stets für sich reklamierte. Eine solche Konkurrenz, da waren alle sicher gewesen, würde der Prinzipal nicht lange ertragen.
     Nun aber warteten sie gespannt auf den Tag,an dem Jean ihm zum ersten Mal eine dieser begehrten Rollen abtreten würde. Filippo hatte es verstanden, niemand wusste so
     recht, wie, Jean für sich einzunehmen. Wer immer den Neuling, der in der Tat noch viel zu lernen hatte, zu kritisieren wagte,
     wurde in seine Schranken verwiesen. Wo Jean war, war auch Filippo, und Titus, der bärbeißige Spaßmacher der Gesellschaft,
     hatte Helena neulich gefragt, ob der Herr Gemahl neuerdings den Vater in seiner Seele entdeckt habe.
    «Wir suchen Fritz, Rosina, ich dachte, er sei bei dir. Ist jetzt nicht Zeit für seinen Flötenunterricht?»
    «Eigentlich ja. Aber er hat mich gebeten, den Unterricht auf morgen zu verschieben.»
    «Warum? Wo ist er?»
    Rosina zuckte mit den Achseln. «Das weiß ich nicht. Es hat nicht viel Sinn, einen Vierzehnjährigen viel zu

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