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Die ungehorsame Tochter

Die ungehorsame Tochter

Titel: Die ungehorsame Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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mit einer Freundin und deren Gatten in der Komödie, und natürlich hatte sie mich um Erlaubnis gefragt.
     Ich habe sie ihr gegeben, obwohl ihr Vater dem nie zugestimmt hätte. Er will nicht begreifen, dass sich die Zeiten ändern.
     Aber sie hat es sich so sehr gewünscht, lange schon. Ich sah keinen Grund, es ihr zu verbieten. Sie war erwachsen, und die
     Bosters sind honorige Leute. Ich kennebeide, schon seit sie Kinder waren. Wenn sie das Theater besuchen, kann es nicht so übel sein, wie manche Leute sagen. Warum
     sollte ich ihr den Wunsch nicht erfüllen?»
    «Monsieur Boster», erklärte Matti, «gehört zu einer respektablen Familie, ihm gehört die Tabakfabrik in der Großen Mühlenstraße.
     Madame Benning konnte sich darauf verlassen, dass Anna in ihrer Gesellschaft   …»
    «…   sicher ist», wollte sie sagen, aber sie schwieg.
    «Ihr wisst genau, dass sie tatsächlich mit Monsieur und Madame Boster im Theater war? Verzeiht, doch womöglich hat sie es
     Euch nur erzählt. Um Euch nicht zu beunruhigen, natürlich», setzte er mit einem Blick auf Theas dunkler werdende Augen hastig
     hinzu.
    Thea war ganz sicher. Karoline Boster, Annas Freundin, seit sie in Övelgönne Nachbarskinder gewesen waren, hatte sich gleich,
     als sie von Annas Tod hörte, auf den Weg zu ihr gemacht, und Thea, die doch mehr als alle anderen Trost brauchte, musste trösten.
     Die Komödie, hatte Karoline unter Schluchzen erzählt, habe Anna so sehr gefallen, sie sei heiter und glücklich gewesen wie
     lange nicht. Noch auf dem Heimweg habe sie die Melodien gesummt, die sie selbst, Karoline, schon längst vergessen hatte. Nein,
     natürlich hätten sie sie nicht alleine nach Hause gehen lassen. Es war ja schon nach neun Uhr und eine besonders finstere
     Nebelnacht. Niemand war mehr auf der Straße, nur aus einigen Schenken hörten sie Stimmen, und einzig hinter den Fenstern der
     großen Häuser brannten noch hier und da Kerzen. Bei den Kopfweiden, einen Katzensprung vom Haus entfernt, hatte Anna sie fortgeschickt.
     Sie wollte sich schon dort verabschieden, um ihre Tante nicht aufzuwecken.
    «Und die Bosters sind gleich gegangen?»
    «Ja, Monsieur Proovt. Sie wohnen in einem der neuen Häuser an der Palmaille und sind den Weg zwischen den Gärten den Hügel
     hinaufgegangen. Die Nacht war sehr kalt, sie haben sich beeilt heimzukommen.»
    Es war still in der Stube, nicht einmal die Uhr tickte, Thea hatte nicht daran gedacht, sie aufzuziehen. Der Wind hatte aufgefrischt
     und trug gedämpft das Hämmern und die Rufe der Männer auf der Werft heran.
    «Dann muss vor Eurem Haus jemand auf sie gewartet haben», sagte Proovt schließlich.
    «Oder sie ist wieder zurückgegangen», sagte Matti. «Aber warum?»
    «Sie hatte ihr Schultertuch vergessen.» Rosinas Stimme klang dünn. Alle drehten sich zu ihr um und sahen sie an, als bemerkten
     sie sie erst jetzt.
    «Ihr Schultertuch? Woher weißt du das?»
    «Weil ich ihr geholfen habe, es zu finden, Matti. Das Theater war schon leer und geschlossen, ich ging noch einmal auf die
     Bühne, um die letzten Kerzen auszublasen. Filippo hatte es vergessen, er half wohl Rudolf bei seinen Maschinerien, jedenfalls
     war er nicht mehr in der Garderobe. Also begann ich die Kerzen zu löschen, und da entdeckte ich sie auf der Galerie. Sie suchte
     ihr Tuch. Sie sei schon beinahe zu Hause gewesen, als sie es vermisste, erklärte sie. Wir haben es schnell gefunden, und sie
     ist durch die kleine Seitentür wieder gegangen. Das Haupttor war schon verschlossen.»
    «Du hast sie allein gehen lassen!?»
    «Sie wollte es so, Matti. Unbedingt. Natürlich habe ich ihr angeboten, jemanden zu holen, der sie begleitet. Sie sagte, das
     sei nicht nötig, sie habe nicht weit zugehen. Als ich dennoch drängte, sagte sie, sie sei nicht allein.»
    Wieder senkte sich drückende Stille über den Raum, und Proovt, der erst jetzt begriff, wer diese junge Frau war, die er für
     die Tochter irgendeines Altonaer Bürgers gehalten hatte, schluckte. Eine Komödiantin hatte er im Haus einer Lotsenwitwe nicht
     erwartet.
    «Mademoiselle», begann er und stockte. War das noch die richtige Anrede für sie, für eine Fahrende? «Mademoiselle», wiederholte
     er, weil ihm seine Überlegung plötzlich sehr kleinmütig erschien, «habt Ihr jemanden gesehen? Jemanden, der auf sie wartete?»
    «Niemanden. Sie zog die Tür schnell hinter sich zu. Ich weiß nicht, ob jemand bei ihr war. Ich dachte, sie habe tatsächlich
     einen

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