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Die ungehorsame Tochter

Die ungehorsame Tochter

Titel: Die ungehorsame Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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Begleiter. Später fand ich es seltsam, dass der sie alleine ins fast dunkle Theater zurückgehen ließ. Womöglich war
     da niemand, und sie wollte lieber alleine gehen als mit einem von uns.»
    Das glaubte Proovt auch. Ebenso glaubte er, dass diese seltsame junge Frau in ihren sittsamen grauen und dunkelblauen Kleidern,
     die mit der aufrechten Haltung und gebildeten Sprache so gar nicht seiner Vorstellung von einer Komödiantin entsprach, mehr
     wusste, als sie sagte.
    «Madame Benning braucht nun Ruhe, Monsieur.» Mattis Stimme unterbrach sanft, aber bestimmt seine Gedanken. «Wenn Ihr mehr
     Fragen habt, solltet Ihr besser morgen noch einmal kommen.»
    «Gewiss.» Der Polizeimeister erhob sich. «Das Weitere hat Zeit bis morgen. Nur eine Frage noch, Madame. Eure Nichte muss eine
     Kette getragen haben, die ihr jemand abgerissen hat. Verzeiht, ich weiß, dass es schmerzlich ist. Die Vorstellung, jemand
     habe   …»
    «Was wollt Ihr jetzt noch wissen, Monsieur!?» Auch Matti hatte sich erhoben und sah streng zu dem Polizeimeister auf, der
     sie um mehr als einen Kopf überragte.
    «Es ist nur wegen der Kette, sie ist der hauptsächliche Anlass meines Besuches.» Er sah über die kleine alte Frau hinweg und
     fuhr fort: «Pardon, Madame Benning, aber das muss ich heute noch wissen. Trug sie an jenem Abend eine Halskette?»
    «Ja. Anna trug sie immer, seit sie bei mir lebte. Ihr Vater erlaubt solchen Schmuck nur an Festtagen, der Anhänger war aus
     gutem Silber und maß fast zwei Zoll. Es ist eine sehr schöne Kette, sie hat ihrer Großmutter gehört, meiner Mutter. Ich habe
     sie ihr zu ihrem achtzehnten Geburtstag geschenkt.»
    Thea Bennings Stimme erstarb. Ihr Blick flüchtete durch das Fenster, doch da war nur der Fluss, in dem Anna gestorben war.
    «Dann könnt Ihr mir beschreiben, wie sie aussieht? Die Kette, meine ich.» Proovt fühlte sich elend. Es war ihm zuwider, die
     alte Frau mit Erinnerungen zu quälen, doch er hatte keine Wahl. Rücksicht und Höflichkeit waren gut für die Salons, in seiner
     Arbeit halfen sie nicht weiter. «Es ist also nicht einfach nur eine Kette, Madame, sie trägt auch einen Anhänger?»
    «Es ist eine silberne Kette mit einem schweren Anhänger. Der war eigentlich der Verschluss für eine Granatkette. Die Perlen
     musste mein Vater verkaufen, nachdem die Schweden hier alles niedergebrannt hatten. Später war nie genug Geld übrig, neue
     zu kaufen, so wurde der Verschluss zu einem Anhänger umgearbeitet.» Thea zog ein mit winziger Spitze gezähntes weißes Tuch
     aus der Tasche und wischte die Tränen ab, die nun still und beharrlichüber ihre Wangen liefen. «Er ist auch aus Silber. Mit einem Herzen und einem Taubenpaar in der Mitte.»
    «Könntet Ihr so freundlich sein, das Muster aufzuzeichnen? Die Kette ist nicht gefunden worden, und falls sie bei einem der
     Goldschmiede zum Kauf angeboten wird, wüssten wir, nun ja, wir wüssten zumindest   …»
    «Wer sie ins Wasser gestoßen hat! Natürlich. Rosina, Papier und Schreibkasten sind dort in dem Wandschrank, bitte, hol sie
     mir.»
    «Ich wollte sagen: Zumindest wüssten wir dann, wer sie hatte. Vielleicht ist sie nur angespült worden. Oder sie hat sie schon
     vorher verloren.»
    Keine der Frauen hörte auf die vernünftigen Worte des Polizeimeisters. Endlich gab es etwas Sinnvolles zu tun. Theas Hände
     zitterten zu sehr, um die richtigen Linien zu malen, so drückte sie Rosina die Feder in die Hand, schob ihr den Papierbogen
     über den Tisch und erklärte ihr, was sie zeichnen solle.
    «Und auf der Rückseite», schloss sie, «sind ein A und ein H eingeritzt. Schreib das neben die Zeichnung, Rosina. Meine Mutter
     hieß auch Anna Hörne, beider Anfangsbuchstaben waren die gleichen.»
    Bald darauf wanderte Polizeimeister Proovt, seine glänzenden Stiefel mit großen Schritten vor den schlammigen Pfützen schonend,
     zurück in die Stadt.
    Die Zeichnung in seiner Rocktasche war sauber und akkurat, sie verriet eine geübte Handschrift und ein gutes Gefühl für Perspektive
     und Proportionen. Auch das hatte er von einer Wanderkomödiantin nicht erwartet.
    An der Stelle, an der die Männer des Hafeninspektors die Tote an Land gebracht hatten, blieb er stehen. Nichts erinnerte an
     die Tragödie. Wenn Matti seine Fähigkeitenauch nicht für so glänzend hielt wie seine Stiefel, erinnerte er sich doch an jedes Wort, das er in dem kleinen Haus gehört
     hatte. Woher, fragte er sich nun, hatten diese seltsamen Frauen

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