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Die ungehorsame Tochter

Die ungehorsame Tochter

Titel: Die ungehorsame Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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Und bei den Wirten?
     Auch sehr schön. Aber vielleicht», wieder hüstelte der Weddemeister in sein blaues Tuch, «vielleicht wisst Ihr noch eine andere
     Möglichkeit. Ihr kennt doch so viele Menschen in der Stadt, ich dachte eher, nun ja, Eure Schenke ist ehrbar, absolut ehrbar,
     was man nicht von allen sagen kann, wenn Ihr versteht, was ich meine.»
    «Herrgott, Wagner, sagt doch einfach, was Ihr denkt,nämlich dass eine Schenke der falsche Ort für so ein Mädchen ist.»
    «Ja, das denke ich. Sie ist kaum sechzehn, und ihre Seele, ja, ihre Seele ist weich, müsst Ihr wissen, sehr weich.»
    «Das Mädchen», erklang eine resolute Stimme hinter Jakobsens breitem Rücken, «braucht Arbeit und Aufsicht.»
    «Das ist sehr schlau, Ruth.» Jakobsen drehte sich nach seiner Schwester um, die am Herd stand und in einem riesigen Topf rührte,
     aus dem es nach Hasenragout mit viel Thymian, gestoßenen Nelken und Lorbeerblättern duftete. «Aber wer würde so ein Mädchen
     aufnehmen und auch noch so fürstlich behandeln, wie es sich unser Weddemeister wünscht? Sei sie noch so fromm und, wie er
     meint, eine brave Seele.»
    «Matti», sagte Ruth, als sei es die selbstverständliche, einzig denkbare Lösung des Problems. Sie griff in eine Holzschale
     auf dem Wandbrett neben der Feuerstelle und streute noch eine Handvoll getrockneter Kräuter in den Topf. «Matti», wiederholte
     sie nachdrücklich. «Die ist genau die Richtige.»
    «Die Hebamme auf dem Hamburger Berg?»
    Ruth nickte. «Matti hat neulich gesagt, dass ihr die Arbeit im Haus und vor allem in ihrem Garten zu viel wird. Lies ist keine
     große Hilfe mehr, seit sie die Gicht hat.»
    «Keine schlechte Idee», brummte Jakobsen, der es nicht gern hatte, wenn sich seine Schwester schlauer erwies als er. Jakobsen
     kannte die alte Hebamme und auch Lies, die früher zu den Becker’schen Komödianten gehört und bei Matti Unterschlupf gefunden
     hatte. Tatsächlichkonnte es für ein Mädchen wie Karla kein besseres Asyl geben. Matti würde sie gut behandeln (bei Lies war Jakobsen nicht so
     sicher), und wenn sie wollte, konnte sie dort eine Menge lernen. «Du glaubst, Matti nimmt auch eine auf, die im Spinnhaus
     war? Versteht mich nicht falsch, Wagner, aber Diebin ist nun mal Diebin. Wenn Matti auch Hebamme ist, ist sie doch so was
     wie eine Dame.»
    «Richtig, Bruder. Wenn so eine eine alte Wanderkomödiantin aufnimmt, wird sie auch bei einer wie Karla nicht plötzlich zum
     Pharisäer. Ich werde sie fragen. Und jetzt, Wagner», sie hob den Holzlöffel an die Lippen und kostete mit zufriedenem Schmatzen,
     «müsst Ihr dieses Ragout probieren. Es ist heute besonders gut.»
    Wagner verabscheute Ragouts, aber dieses erschien ihm pure Ambrosia, was sicher nur an dem Wein lag, den Jakobsen ihm ausnahmsweise
     aus dem Fass für die besseren Gäste zapfte. Die Welt, fand Wagner, war doch nicht ganz schlecht. Ein solcher Anfall guter
     Laune ereilte ihn selten. Nicht weil er ein Misanthrop gewesen wäre. Aber seine Arbeit, die unermüdliche Jagd nach Verbrechern
     und Spitzbuben aller Art, die unermüdliche Aufpasserei auf Einhaltung der städtischen Verordnungen und Gesetze, kurz und gut
     Ruhe, Ordnung und Redlichkeit in einer der größten Städte des Kontinents, förderte nicht gerade die Zuversicht, die ihn als
     jungen Mann ausgezeichnet hatte. Die Ursache seines Frohsinns hatte genau genommen nichts mit seinem Amt zu tun, doch wer
     nahm es schon so genau? Auch diese Einsicht war für ihn, die verkörperte Rechtschaffenheit, ungewöhnlich.
    Wagner liebte die Sonntage nicht, denn außer dem Kirchgang am Morgen hielten sie keine Pflichten für ihnbereit. Am wenigsten mochte er sie im Winter, wenn die Straßen wie ausgestorben waren, wenn sich die Stille in den Werkstätten,
     Fabriken, Küterhäusern und Kontoren wie ein Leichentuch über die ganze Stadt breitete. Er fand immer einen Grund, seiner einsamen
     engen Wohnung zu entfliehen und in der Fronerei nach dem Rechten zu sehen. Sehr zum Verdruss der Weddeknechte, die beim Sonntagsdienst
     lieber würfelten, als ihrem Herrn zu überflüssigen Diensten zu sein.
    Doch nun war der Winter vorbei. Heute würde er über den Jungfernstieg promenieren, bei einer der Straßenhändlerinnen einen
     Zimtkringel kaufen und die Ruhe des siebten Tages nicht nur pflegen, sondern auch genießen. Vielleicht, wenn sein Schlendern
     ihn zufällig dort vorbeiführte, würde er einen Besuch im Spinnhaus machen. Es gehörte zwar nicht

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