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Die ungehorsame Tochter

Die ungehorsame Tochter

Titel: Die ungehorsame Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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«ist ein Hamburger. Er wohnt hier, und er arbeitet auch für den hiesigen städtischen Bauhof.
     Ich muss ihn dringend befragen, wie Ihr Euch denken könnt, dazu bitte ich um Eure Hilfe. Mein Amtsbereich endet nun mal an
     den Toren Altonas. Ich brauche Euer Plazet, sozusagen, und Eure Begleitung.»
    «Mein Plazet», sagte Wagner und dachte, Proovts Vorgänger hätte an solche Feinheiten nicht einmal gedacht, sondern jeden,
     den er eines Verbrechens in Altona verdächtig fand und auf dem Hamburger Berg erwischen konnte, schnurstracks über die Grenze
     gezerrt. «Plazet. Sehr schön. Tatsächlich braucht Ihr das Plazet des Weddesenators. Richtig wäre es, wenn Euer Magistrat sich
     an unseren Rat wendet.» Plötzlich verzog sich das Hamstergesicht zu einem Grinsen, und Proovt verstand, was der Physikus mit
     dem Fuchs und dem Jäger gemeint hatte. «Ich nehme aber an, dass Ihr den jungen Paulung nicht erst zu Michaeli befragen wollt,
     sondern möglichst schnell. Sonntags wird er kaum auf der Baustelle sein. Wenn Eure schwatzhafte Konfitürenhändlerstochter
     Euch auch zu berichten wusste, wo der Mann wohnt, können wir gleich gehen.»
    Es war nicht weit bis zum Kornträgergang. Proovt folgte dem Weddemeister und war froh, niemanden nach dem Haus des Farbenmachers
     fragen zu müssen. Als eile ihnen ein Geruch oder eine aufdringliche Melodie voraus, verschwanden vor ihnen die Menschen, klappten
     Fenster und Türen zu, nur ein paar Hühner und ein dreibeinigerHund ließen sich nicht stören. Die breiteren Straßen der Neustadt wurden von Häusern aus stabilem Fachwerk gesäumt, reinliche
     Läden und Werkstätten in den Erdgeschossen zeugten von einem auskömmlichen Leben. Die engen Gänge, durch die Wagner ihn nun
     führte, waren ihre düstere Kehrseite. Es stank nach feuchten Wänden und Abwässern, er sah vom billigen, weichen Holz schiefe
     Fassaden, die so weit vorragten, dass das Tageslicht kaum eine Chance hatte einzudringen. Auch in Altona gab es enge schmutzige
     Quartiere, in denen sich die Armen drängten und schweres Fieber, Halsbräune und die englische Krankheit Dauergäste waren.
     Hier erschien ihm alles noch enger, noch schmutziger, noch düsterer. Hinter diesen Gängen, das wusste er, gab es noch elendere
     Labyrinthe, von denen es hieß, dass sich dort nicht einmal die Stadtsoldaten hineinwagten.
    Proovt dachte an seinen teuren Rock und die eleganten Stiefel, er atmete begierig den Lavendelduft seines Hemdes und wünschte,
     er wäre Dr.   Henslers Rat gefolgt und hätte sich eine der unförmigen Joppen und Stiefelpaare seiner Polizeiknechte geliehen. Nicht weil
     er sich fürchtete, dazu fehlte ihm die Erfahrung, sondern weil es ihm niederträchtig erschien, vor Menschen, die selbst am
     Sonntag nichts als geflickte Lumpen anzuziehen hatten, in seinem feinen englischen Tuch zu paradieren.
    Der Physikus hatte an einem der hinteren Tische gesessen, als er den Alten Ratskeller betrat, und der Polizeimeister war seiner
     Aufforderung, ihm Gesellschaft zu leisten, gerne nachgekommen. Hensler war erst wenige Wochen in Altona, dennoch schien er
     die Stadt zu kennen wie einer, der sein Leben hier verbracht hatte. Als Proovt erwähnte, eine seiner Zeuginnen habe berichtet,die Tote sei schwanger gewesen, grinste er breit. Das, sagte er, sei zu erwarten gewesen. Der Tod eines Mädchens bringe immer
     dieses Gerücht hervor. Das sei nun mal eines der Gesetze menschlichen Verhaltens. Er habe den Grund dafür zwar noch nicht
     gefunden, doch die Menschen täten nichts lieber, als eine schlimme Sache noch schlimmer zu reden. Wahrscheinlich, hatte er
     hinzugefügt und genussvoll auf einem zarten Stück Ochsenzunge gekaut, wachse so ihr Gefühl der eigenen Sicherheit und Ehrbarkeit.
     Hensler hatte dem Polizeimeister keine Gelegenheit gelassen, sich genauer nach diesem rätselhaften Verhalten zu erkundigen.
     Er wollte die Urheberin dieser Auskunft wissen, und als Proovt nach kurzem Zögern ihren Namen nannte, grinste der Arzt noch
     breiter.
    «Soso. Unsere liebe Mademoiselle Rogge. Das habe ich mir doch gedacht. Wenn Ihr Mörder und andere Schurken fangen wollt, Proovt,
     müsst Ihr Euch angewöhnen, genauere Auskünfte über Eure Zeugen einzuholen.»
    Die Tochter des Kaffee- und Konfitürenhändlers Rogge, erfuhr er nun, sei eine betuchte junge Dame. Dennoch hatte sie sich
     aus irgendeinem unverständlichen Grund, wer kenne sich schon mit den Herzen der Frauen aus, in den Kopf gesetzt, Madame Paulung
    

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