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Die ungehorsame Tochter

Die ungehorsame Tochter

Titel: Die ungehorsame Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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Teufel», rief Jean froh, dass niemand die Tränen bemerkt hatte, die ihm bei der Schilderung dieses wunderbaren
     Melodrams in den Augen gestanden hatten, «wer seid Ihr, Gregor?»
    «Nicht Gregor», sagte Rosina, «auch nicht Beaufort. Ihr seid Klemens, nicht wahr?»
    «Ja, ich habe mir für diese Reise den Namen eines der Vorfahren meiner Mutter ausgeborgt. Ich bin Klemens Lenthe. Und Ihr
     heißt nicht Hardenstein, sondern Lenthe, wie ich. Rosina ist Euer zweiter Vorname. Euer Rufname ist Emma. Euer Vater hat mich
     auf diese Reise geschickt, meine Cousine zu suchen. Er will Euch sehen, Emma. Mehr noch: Er möchte, dass Ihr endlich heimkehrt.»
    SONNTAG, DEN 12.   MARTIUS,
MORGENS
    Jakobsen sah den Weddemeister verdutzt an, lachte dummerweise sein dröhnendstes Lachen, sodass umgehend all seine frühen Gäste
     herübersahen – und zog den Weddemeister in die Küche hinter dem Schankraum. «Sonst zerreißt sich morgen die ganze Stadt das
     Maul über Eure seltsamen Wünsche», erklärte er. «Dass Ihr Frauen und junge Diebe ins Spinnhaus bringt, weiß jeder, aber dass
     Ihr sie auch wieder rausholt, ist neu.»
    Weddemeister Wagner hatte lange gegrübelt, wen er um ein neues Zuhause für das Mädchen bitten könnte. Zuerst war ihm die Domina
     von St.   Johannis eingefallen. Die Konventualinnen des Klosters waren allesamt feine Damen, jede hatte eine Magd zu ihren Diensten.
     Für Küche, Waschhaus und Garten wurden immer wiederwelche gebraucht, denn zum Ärger der Domina verlangte junge Mägde nach dem Ehestand. Aber das Kloster war ihm letztlich nicht
     als der richtige Ort für Karla erschienen, die alten Gemäuer bargen für sie nur böse Erinnerungen. Madame Herrmanns um Hilfe
     zu bitten erschien ihm vermessen. Immerhin war Karla im letzten Sommer von ihrem Dienstherrn, dem Pedell der Gelehrtenschule,
     zum Diebstahl verleitet worden und im Spinnhaus gelandet. Bei aller Großzügigkeit der Herrmanns’ – ein Mädchen aus dem Frauengefängnis
     duldeten sie gewiss nicht unter ihrem Dach. Das Spinnhaus war nicht ganz das Zuchthaus, junge Frauen sollten dort zuvörderst
     auf den Weg zu rechtschaffener Arbeit und christlicher Demut zurückgeführt werden, doch der Ruch von Verbrechen und Strafe
     klebte auch an ihnen wie Pech.
    Schließlich war ihm Jakobsen eingefallen. Der Wirt war nicht zimperlich und seine Schwester die beste Aufsicht für ein Mädchen,
     dessen Seele rein, aber, nun ja, nicht sehr standhaft war.
    Wagner schüttelte entschieden, ein bisschen zu entschieden vielleicht, den Kopf. «So ist es nicht, Jakobsen. Sie hat ja nicht
     wirklich etwas verbrochen, sondern war nur dumm und wusste sich nicht zu wehren. Wenn sie nun entlassen wird, ist es unsere
     christliche Pflicht, für dieses Mädchen, dem der Herrgott schon in frühesten Jahren die Familie genommen hat, einen sicheren
     Platz zu finden.»
    «Fromm, lieber Wagner, sehr fromm. Wir wollen besser nicht prüfen, wie weit Eure Christenpflicht reicht, wenn eine pockennarbig,
     zahnlos und zänkisch ist. Wie viele aus dem Spinnhaus habt Ihr denn schon in gute Obhut gebracht?»
    «Das war bisher nie nötig», begehrte Wagner auf. «Nie nötig, ja. Ich meine, nein. Karla hat niemanden, zu dem sie gehen kann,
     keine Familie, niemanden. Der Pedell hatte sie aus dem Waisenhaus geholt, nun sitzt er im Zuchthaus, wo er auch hingehört,
     und seine Frau will nichts von Karla wissen. Wohin also sollte sie gehen? Sie ist», Wagner hüstelte und versuchte, sein plötzlich
     gerötetes Gesicht hinter seinem großen blauen Tuch zu verbergen, mit dem er sich in den letzten Minuten unablässig die gar
     nicht feuchte Stirn gewischt hatte, «sie ist ein wenig schüchtern, ja, und nicht stark genug, um sich alleine durchzuschlagen.
     Ihr wisst, wo diese Mädchen landen. Es wäre nicht christlich, wirklich nicht christ   …»
    «Gut, Wagner, gut, gut. Ich habe Euch schon verstanden. Nun wollt Ihr sie in Sicherheit wissen. Vor Hunger und vor allem,
     nehme ich an, vor den Mädchenfängern der Freudenhäuser. Da muss ich überlegen. Bei uns ist kein Platz. Mir genügt eine Schankmagd,
     und Lineken werde ich selbst Euch zuliebe nicht wegschicken. Ich kann bei den anderen Wirten in der Neustadt fragen. Oder
     bei Schwarzbach. Sein Sohn wird jetzt die Kattundruckerei übernehmen, der braucht sicher noch ein paar Schildermädchen oder
     Wäscherinnen.»
    «Der junge Schwarzbach, nun ja, sehr schön. Man sagt allerdings, er sei sehr hart. Herrisch, sozusagen.

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