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Die ungehorsame Tochter

Die ungehorsame Tochter

Titel: Die ungehorsame Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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hatte sein Bruder Pech. Die Erzgänge waren nur
     schmal und auch sonst wenig ergiebig, und eine Mine füllte sich schon bald mit so viel Wasser, dass sie stillgelegt werden
     musste. Die beiden Brüder zerstritten sich darüber, der eine warf dem anderen vor, er habe ihn übervorteilt – doch das ist
     in diesem Teil der Geschichte gar nicht von Belang.
    Auch in seiner Familie hat mein Onkel, von dem ich hier vornehmlich erzählen will, mehr Unglück erfahren, als er verdient.
     Ich hoffe, dass Ihr am Ende meiner Meinung seid, Rosina. Als er heiratete, war er ein wohlhabender Mann in schon reifem Alter.
     Seine Frau war jung, ihr Bildnis im Salon seines Hauses zeigt eine seltene Schönheit. Auch ihre Gaben waren selten, aber,
     so sagt er selbst, er war zu eitel und zu dumm, sie wertzuschätzen. Er dachte, das Leben, das er ihr bot, sei mehr wert als
     alles, was sie bis dahin gehabt hatte. Sie gebar ihm eine Tochter, fünf Jahre später einen Sohn. Ein drittes Kind, wieder
     eine Tochter, starb kurz nach der Geburt, und er sagt, dass seine Frau sich von diesem Kummer nie ganz erholte. Dennoch empfand
     er sein Leben als glücklich. SeineGeschäfte mehrten schließlich seinen Reichtum, seine Talente machten ihn zum Berater seines in der Finanz recht leichtsinnigen
     Landesherrn, seine Kinder waren wohlgeraten und gesund. Es stimmt, er führte ein glückliches Leben. Sorge bereitete ihm nur
     seine Tochter. Sie wurde ihrer Mutter nicht nur in ihrer Erscheinung immer ähnlicher, sie hatte auch deren Talente und eigenwilligen,
     unruhigen Geist geerbt. So verbot er auch ihr wie zuvor seiner Frau, was sie am meisten liebte, stets im festen Glauben, das
     Richtige zu tun.»
    Die Uhrglocke von St.   Trinitates begann zu schlagen, erst nach dem letzten, dem zehnten Schlag fuhr er fort: «Als sein Sohn sieben oder acht Jahre
     alt war, lehrte er ihn wie zuvor die Tochter das Reiten, und dann, es mag ein Jahr später gewesen sein, begann das Unglück.
     Sein Sohn war zu jung, seine Kräfte einzuschätzen, und als er bei einem Ritt durch den Park seiner Schwester nachjagte, stürzte
     er vom Pferd. Er starb noch am gleichen Tag. Auch wenn er es nie aussprach, ließ sein Vater seine Frau, die ihre Tochter nicht
     zu stiller Fügsamkeit erzogen hatte, und seine Tochter, die solche wilden Ritte liebte, spüren, dass er sie für schuldig hielt.
     Seine Frau wurde zum Schatten ihrer selbst, sie starb am Ende des folgenden Winters. Mögt Ihr noch zuhören, Rosina?»
    Auch Rosina hatte sich in den Schatten zurückgelehnt, ihre Arme umschlangen ihren Körper, als müsse sie sich selbst halten.
     «Es war nur ein leichtes Fieber», flüsterte sie. «Eines, an dem niemand stirbt. Sie starb dennoch daran. Sie ging einfach
     davon.»
    Rosina schwieg, und auch alle anderen schwiegen, endlich begreifend, wessen Geschichte da erzählt wurde. Sogar Jean war verstummt.
    «Und du?», fragte Helena schließlich behutsam. «Wann gingst du davon?»
    Rosina hob den Kopf und sah durch das nachtschwarze Fenster. «Später», sagte sie endlich und lehnte sich kaum spürbar an Helenas
     Schulter, «mehr als ein halbes Jahr später.»
    «Aber warum? Du hattest deine Mutter und deinen Bruder verloren, wie konntest du auch noch alles andere verlassen? Deinen
     Vater, dein Zuhause, sicheren Wohlstand und Geborgenheit.»
    «Ich musste gehen. Ich konnte dort einfach nicht länger leben.»
    «Für nichts? Du hattest großes Leid erfahren, dennoch war da fast alles, wovon man träumen kann. Du hattest kein Ziel, als
     Jean dich damals aus der Hecke zog und zu uns brachte.»
    «Ich hatte ein Ziel, ich wusste genau, wohin ich wollte. Ich war damals auf der Suche nach einer Komödiantengesellschaft,
     die in unserer Stadt gespielt hatte. Denen wollte ich mich anschließen. Wenn mein Plan zunächst auch nicht aufging», ein Lächeln
     huschte über ihr Gesicht, «habe ich mein eigentliches Ziel dennoch erreicht. Weil nicht irgendein wandernder Bader mich auf
     der Straße auflas, sondern Jean. Monsieur Beaufort hat nicht gesagt, welcher Art die Talente waren, die ich geerbt habe. Meine
     Mutter war Sängerin an der Dresdener Hofoper, sie verließ das Theater einzig, um meinen Vater zu heiraten. Sie hat mich singen
     und tanzen gelehrt, bis er es ihr verbot. Damals, als ich ihn verließ, wollte ich es nicht glauben, aber sie muss ihn sehr
     geliebt haben, wenn sie für ihn die Musik aufgab. Denn das war von Anfang an seine Bedingung gewesen.»
    «Und wer, zum

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