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Die ungehorsame Tochter

Die ungehorsame Tochter

Titel: Die ungehorsame Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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zu werden. Auch ihr Vater hatte nichts dagegen, nachdem ihm eingefallen war, dass es nur von Vorteil sein könne, sein Geschäft
     mit dem Heringshandel zu erweitern. Nun riechen Heringe zwar nicht so delikat wie Kaffee und Konfitüren, dafür werden sie
     in jeder Küche gebraucht. Ein erfahrener Fischer als Schwiegersohn konnte seinen Plänen nur förderlich sein. Von einem, der
     keinen Reichtum als ebendiese Erfahrungen in die Ehe einbrachte, verspracher sich zudem einen willfährigen Schwiegersohn und Geschäftspartner.
    «Jedenfalls sah sich die liebe Hilda schon auf dem besten Wege zu Kranz und Schleier», fuhr der Physikus fort. «Dummerweise
     war noch nichts ausgesprochen, nichts vereinbart, und wenn Ihr mich fragt, bestand ein gut Teil dieser Verbindung nur in der
     Phantasie der jungen Dame. Ich kenne den Paulung kaum, ich habe ihm nur mal einen eiternden Splitter aus der Hand geschnitten.
     Aber ich kann mir nicht denken, dass einer, der sein Schiff verliert und sich weigert, bei seiner eigenen Familie unterzukriechen,
     in das Geschäft in der Großen Elbstraße einheiraten und den Rest seines Lebens den armen Verwandten spielen mag. Dennoch,
     Hilda glaubte sich ihrem Ziel nahe, da tauchte plötzlich Anna Hörne auf. Övelgönne und Altona sind nicht weit voneinander
     entfernt, aber ein strenger Vater kann aus einer halben Meile einen Ozean machen. Erst seit sie im Haus von Madame Benning
     lebte, endlich den Argusaugen ihres Vaters entkommen, konnte sie den jungen Paulung wieder treffen. Was sie fleißig getan
     haben soll. Aus war’s mit den Rogge’schen Träumen von Ehemann und Geschäftserweiterung. Eine herrlich tragische Geschichte,
     findet Ihr nicht? Allerdings könnte sie dazu führen, dass Mademoiselle Hildas Auskünfte in dieser Sache nicht ganz so klarsichtig
     sind, wie Ihr zu glauben scheint. Warum esst Ihr eigentlich Eure Austernsuppe nicht? Die Tierchen sind die ersten von Borkum
     in diesem Frühjahr, heute Mittag taufrisch geliefert. Eine Schande, sie verkommen zu lassen.»
    «Die Austern, natürlich. Sehr delikat.» Proovt schob seinen Löffel durch die Suppe, als argwöhne er darin eine ganze Wattwurmfamilie.
     «Mir scheint, Ihr seid auch eineAuster, ebenso verschlossen nämlich. Warum habt Ihr mir diese Geschichte nicht schon im Packhaus erzählt? Oder als ich Euch
     wegen des Berichts besuchte?»
    «Und ich dachte immer, ich sei geschwätzig. Die Antwort ist einfach: Ich weiß erst seit heute von diesen Liebeswirren. Zu
     schade, dass Ihr kein Physikus seid, Polizeimeister. Denn dann machtet Ihr jeden Tag Krankenbesuche und bekämt zum mageren
     Salär neueste Nachrichten von der Art verabreicht, wie sie nicht in den Zeitungen stehen, die Menschen aber viel mehr interessieren
     als der russische Krieg oder die drohende Revolution in London. Mich auch, das gebe ich gerne zu.»
    «Und warum sollte ich diesen Nachrichten aus der Krankenstube trauen? Sie scheinen mir aus keiner verlässlicheren Quelle zu
     stammen als meine.»
    «Eine gute Frage. Im Prinzip habt Ihr Recht, besonders wohlhabende Kranke auf dem Weg zur Genesung langweilen sich fürchterlich
     und erfinden die erstaunlichsten Romane. Diesen allerdings habe ich von Monsieur Rogge selbst. Seine Galle und sein dickes
     Blut verlangen häufig nach meinen Diensten. Er liebt seine Konfitüren nämlich zu sehr, besonders zu fettem Fleisch. Mein Wissen
     stammt also ausnahmsweise aus erster Hand und ist nicht anzuzweifeln. Nun aber genug der Klatschgeschichten, viel wichtiger
     sind die Blattern im Zuchthaus.»
    Nachdem Proovt auch darüber genauestens informiert worden war, blieb auch die geräucherte Ochsenzunge auf seinem Teller unberührt.
     Trotz ihrer delikaten Hülle aus Mandelteig.
    «Wir sind da.» Wagner war in den Kornträgergang eingebogen, eine Gasse, die schon fast als Straße zu bezeichnen war, und vor
     einem der ersten Häuser stehen geblieben. «Leicht zu finden», murmelte er und zog schnuppernd die Nase kraus.
    Der Geruch von Lein- und Terpentinöl umgab das Haus, schmal, aber noch ganz gerade und drei Stockwerke hoch, wie eine unsichtbare
     Wolke. Momme Fels, der Farbenmacher und Hausherr, ließ sie bereitwillig ein, scheuchte einen Schwarm von neugierigen Kindern
     und ein kleines geflecktes Schwein in die Küche und eilte den Vertretern der Obrigkeit mit eifrigem Dienern voraus bis zu
     der Kammer unter dem Dach.
    Matthias Paulung lag allein in der ersten. Die anderen Mieter, versicherte Fels mit vor

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